Paul will mit ans Meer. Wellendellengucken, Wiegewogenichts, mit dem Plinkerplönker und dem goldenen Saxofon und seiner kleinen Schwester Paula. Tztz, huschhusch. Ans Wogewasserwiegewassermeer. Mit dem Zug. Und dann schläft der Paul im Zug. Und die Paula hat die Zeit übersehen, hat Paul nicht rechtzeitig geweckt, hat ihn nicht mit seinen Ritualen langsam ankommen lassen und jetzt müssen sie umsteigen, zackzack, rasch in einen anderen Zug. Doch der Paul schüttelt heftig den Kopf. Scheiße, denkt Paula, Papa hat recht gehabt. Wir schaffen das nicht, wir beide. Langsam rollt der Zug in den Bahnhof...
Und dann passiert, was sie am meisten gefürchtet hat. Er. fängt. An. Zu. Schreien. Scheiße, denkt Paula, scheiße, wagt sich nicht umzusehen nach Tom. Wie peinlich muss das für ihn sein!
Jemand hat den Schaffner geholt. Die Leute starren. Keinen Arzt, sagt Tom erschrocken. Mein Bruder muss sich nur beruhigen. Meine Schwester und ich kriegen das schon hin.
Hast du Bruder gesagt, staunt Paula? Ihr Bruder wolle er eigentlich nicht wirklich sein, grinst Tom. Ganz weich ist seine Stimme, warm und weich. Ich hab doch eigentlich nur von Zuhause weg wollen, denkt Tom. Und dann treffe ich ausgerechnet auf euch...
Paula: Mit 15 schon „die Große“, wie die Mama immer sagt, denn der Paul, obwohl 17, wird nie erwachsen werden. Warum sie sich einen Namen teilen? Paul wird dich immer brauchen, erklärte ihr die Mama. Der Name solle sie verbinden. Paula weiß, dass es sie nur gibt, weil die Mama noch ein Baby wollte, dass sie auch in den Arm nehmen konnte. Statt Paul. Dass sie eigentlich den Paul in den Arm nehmen möchte, aber der hält das nicht aus, der tickt aus, der wehrt sich und beginnt zu schreien...
Paul: der Junge mit dem Zingerfinger und der Schiebetür. Paul, der Worte liebt und seltsame Wortkreationen erfindet. Paul, der im Heim wohnt, weil es nicht mehr ging zuhause, ganz sanft musste es der Papa der Mama beibringen. Und so viel hat sie geweint. Nun soll die Paula den Paul holen fahren, für ein Familienfest. Und dabei trifft sie Tom.
Tom, auch 17, genau wie Paul: Aber der will auf und davon! Ans Meer. Mit seinem Sax. Zum Großvater. Weg von den Eltern und ihren perfiden Absprachen. Weg, nur weg. Da sieht er Paula, wie sie schläft, im Zug. Spuckefäden laufen ihr aus dem Mund. Irgendwie süß, findet Tom. Ob er mich noch nach meiner Telefonnummer fragt, denkt Paula kurz vor dem Aussteigen. Er hat nicht gefragt.
Am nächsten Tag hört sie, Paul im Schlepptau, auf dem Bahnhof seltsame Töne. Das Sax! Und Paul ist fasziniert von dem goldenen Instrument und dem Plinkerplönker, der zwar noch da ist, aber immer noch ans Meer will. Ob sie mitkommen, sie beide? Unmöglich, sagt Paula. PaulaPaulTom ans Meer, plappert Paul. Und nichts kann ihn davon abbringen. Der Papa wird es der Mama beibringen müssen, schonend, damit sie keinen Herzinfarkt bekommt: Paul muss doch einmal das Meer sehen können, meint Paula, bevor sie heimkommen. Nur drei kleine Buchstaben hat sie dem Papa verschwiegen, denkt sie, als sie das Handy zuklappt. Tom.
Paula tupft das blaue Meer mit dem Finger auf Pauls Nase. Fass es an, sagt sie. Geh hinein. Das Meer ist wie eine Schiebetür. Wie die zuhause, die Paul so gerne geräuschvoll auf und zu, auf und zu schiebt. Und das Meer leuchtet!
Das Meer wühlt Erinnerungen auf, schwemmt Ereignisse an, Zufälle und Wendungen. Überrascht, beglückt, überflutet mit Tränen und heilt alles mit seinen dellenhellen Wellendellen. Sachte und leise.
Ende des Abenteuers: Die Eltern warten am Bahnsteig. Für ein paar Augenblicke vergisst Paula Tom. Plinkerplönker fortgeplönkert, sagt Paul und lässt den Kopf hängen. Was? fragt die Mama verwirrt. Wer, fragt der Papa ahnungslos. Nichts, sagt Paula bestimmt. Denkt: Ich weiß ja , ich werde das nicht verheimlichen können, und das ist ja auch gut so. Aber nicht jetzt, noch nicht jetzt... Und dann hört sie ihn aus der Ferne. Großes Kino: das Sax im goldenen Blinkelicht. Dann guckt er in sein Handy. Liest, tippt was. Für sie? Er wird zu ihr kommen, denkt Paula und hat es auf einmal nicht mehr eilig. Er wird kommen, wie versprochen, so verlässlich wie Weihnachten.
Ein bezaubernder, beglückender, zu Herzen gehender Jugendroman in einer gefühlsintensiven Wortfetzen-Sprache, die die Wackersteine des Lebens zerstreut und wie Wolken tänzelnd vor sich her treibt.
Die monatliche ADZ-Reihe „Wertvolle Jugendbücher“ möchte Kinder und Jugendliche zum Lesen in deutscherSprache anregen. Die Bücher sind in den deutschsprachigen Bibliotheken des Goethe-Instituts auszuleihen.