Es sind die gleichen Sterne, die über dem Himmel von Afghanistan und Europa stehen - und auf dem Weg dazwischen. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Adib und Karl gleichermaßen von ihnen fasziniert sind. Obwohl sie sonst wenig gemeinsam haben: Adib ist 15 und musste mit der Mutter, dem kleinen und dem großen Bruder nach dem Tod des Vaters aus der alten Heimat flüchten. Mit dem letzten Geld bezahlte Nuria die Schlepper, die sie auf abenteuerlichem, monatelangem Weg nach Europa bringen sollen. Dass eine solche illegale Reise keine gemütliche Urlaubsfahrt werden würde, war ihnen allen klar. Doch welche Hürden ihnen noch bevorstehen sollten - zusammengepfercht in der Kälte, endloses Warten in trostlosen Lagern, Polizeirazzien, Trennung, Gewalt und Konflikte, Ungewissheit, sich alleine durchschlagen müssen, Hunger, Krankheit und Tod - , hatte sich Adib nicht in seinen kühnsten Alpträumen ausgemalt. Und dann - endlich Deutschland! Angekommen... und doch wieder nicht; wieder Lager, diesmal immerhin ein winziges, warmes Zimmer für drei, wieder warten, warten, warten. Die Mühlen der Behörden mahlen langsam und ungewiss. Die Aussicht auf ein endlich „normales“ Leben verstellen unzählige Hindernisse. Vor allem aber nagt die Zeit an Adibs Geduld.
Da passiert etwas Unvorhergesehenes. Adib beobachtet, wie ein alter Mann auf der Straße von der Rettung abgeholt wird. Auf der Bank, wo er gesessen hatte, ist ein Buch liegengeblieben. Adib, der inzwischen ganz gut Deutsch gelernt hat, erkennt: Es ist ein Buch über Sterne. Und: Es steht eine Adresse drin. Adib denkt sich, bestimmt will der Mann das schöne Buch wieder haben. Er sucht die Adresse, klingelt, aber natürlich macht niemand auf. Endlich kommt eine Nachbarin...
Im Krankenhaus erzählt Mildred Karl von dem Jungen. Karl will sich bedanken. Er sucht das Flüchtlingsheim auf, doch die Heimleiterin bedauert, Adib ist leider nicht da. Karl will warten, trifft Nuria, ist überwältigt von der Trostlosigkeit im Heim. Als er schließlich doch gehen will, ruft ihn eine Stimme zurück. Adib! Verlegen schütteln sie sich die Hände. Karls Hand umschließt in der Hosentasche einen 50 Euro Schein. Oder würde das den Jungen beleidigen? Adib deutet auf den Himmel. Das Buch, sagte er lächelnd - Sterne. „Sterne - Gedanken Gottes“ sagt Adib noch einmal.
„Sterne haben mir den Weg gewiesen“, erklärt er Karl viel später, im Cafe. „Haben sie dir auch deine Zukunft verraten“, fragt Nachbarin Mildred. Karl verdreht die Augen. Wir interessieren uns für Astronomie, nicht Astrologie, klärt er sie auf. Und: Er habe ein Teleskop zuhause - ob Adib ihn einmal besuchen wolle?
Als Karls Urgroßnichte Marie Adib nach dem Abendessen fragt, wie er nach Deutschland gekommen sei, sagt Karl ungeduldig: Los, wir müssen anfangen. Die Sterne warten nicht. Er wollte keine traurigen Flüchtlingsgeschichten hören. Die hatte er selbst erlebt. Die ungleiche Freundschaft, die sich zwischen dem Jungen und dem alten Mann von nun an zart entspinnt, erleuchtet das gemeinsame Hobby: die Sterne.
Nur nachts wird es dunkel in den Träumen von Karl und Adib. Dann kommen sie wieder, die schrecklichen Erinnerungen. Für Karl aus dem Zweiten Weltkrieg: die Flucht mit Mutter und Schwester aus Schlesien. Kapitelweise wechseln die Erinnerungen der beiden mit dem Heute. Sie ähneln sich frappierend, nur die Namen und Zeiten und Orte sind anders. Schon damals standen die gleichen Sterne über ihnen am Himmel.
Während für Adib und seine Familie langsam die Dinge ins Rollen kommen - Hoffnungsblitze, Rückschläge, Herausforderungen im neuen Alltag, dazu tatkräftige Starthilfe von Karl, Mildred und Marie - bereitet sich Karl auf seine letzte große Reise vor...
Die monatliche ADZ-Reihe „Wertvolle Jugendbücher“ möchte Kinder und Jugendliche zum Lesen in deutscher Sprache anregen. Die Bücher sind in den deutschsprachigen Bibliotheken des Goethe-Instituts auszuleihen.