Zeitungsschreiben könnte manchmal ganz einfach sein: Man sucht im Computer nach jenem Text, den man vor genau einem Jahr verfasst hat, wechselt die Jahreszahlen aus, speichert ihn unter einem neuen Dateinamen ein, versendet ihn und fertig. Schluss, aus. Vergleicht man 2023 mit 2022, könnte man es fast genauso machen und keiner würde es merken. Leider. Damals schrieb der Autor dieser Zeilen, man nehme Abschied von einem Jahr des Krieges, der Inflation und der Ohnmacht. Auch 2023 war ein Jahr des Krieges, ein Jahr der Krisen, ein Jahr der Ohnmacht. Die internationale Ordnung liegt Ende 2023 in Trümmern, von der Vormachtstellung der westlichen Welt halten die Länder des globalen Südens nichts mehr, in den Vereinigten Staaten tobt der Kulturkampf und auf das US-Präsidentschaftsduell 2024 bereiten sich zwei ergraute Männer vor, während in der EU durch Ukraine-Krieg, Klimawandel, Migrationsdruck und Wirtschaftskrise die Fliehkräfte zunehmen, sie sich aber, wie in einem Akt des kollektiven Selbstmords, noch weiter ausdehnen will.
Was genau von dem, was die Welt noch im Jahre 2022 geplagt hat, verschwand in diesem nun zu Ende gehenden 2023? Corona vielleicht, oder zumindest die Angst davor. Aber dafür ist der Krieg geblieben. Er ging in der Ukraine weiter und begann am 7. Oktober auch im Nahen Osten, mit dem barbarischen Terrorangriff der Hamas auf Israel. Was dann als Selbstverteidigung des Staates Israel begann, wurde in den letzten zwei Monaten zu einer Barbarei ohnegleichen. Die humanitäre Tragödie im Gaza-Streifen sucht in der jüngsten Geschichte ihresgleichen. Während die Welt mit dem arabisch-israelischen Konflikt beschäftigt ist und westliche Eliten geschlossen hinter Israel stehen, nimmt der Antisemitismus vor allem jüngerer Generationen zu. Die Palästina-Frage spaltet die Weltgemeinschaft, deutlich mehr als der Ukraine-Krieg des Wladimir Putin, dem zumindest der globale Süden eher gleichgültig gegenübersteht.
Kurzum: Die regelbasierte Ordnung, die so oft herbeigeschworen wurde, und eigentlich immer den Vorstellungen der westlichen und vor allem der angelsächsischen Welt entsprochen hat, hat ihre Anziehungskraft eingebüßt und ist von breiten Rissen gekennzeichnet. Sollte sie zugrunde gehen, geschieht das auch deshalb, weil die derzeit tobenden Kriege, der der Russen in der Ukraine und der der Israelis im Gaza-Streifen, obwohl unter keinem Gesichtspunkt vergleichbar, jene Scheinheiligkeit westlicher Eliten preisgeben, die die Menschen nicht nur in den Hauptstädten Südamerikas oder Südostasiens auf die Straße gehen ließen, sondern auch im Herzen Westeuropas.
Problematisch ist nur, dass die Alternativen dieser Ordnung deutlich düsterer sind und für ein Land wie Rumänien gar nicht in Frage kommen können. Wer auf Horrorszenarien steht, könnte sich sehr leicht eines ausmalen, in dem die EU auf einen Kern von Staaten reduziert wird, zum Beispiel den der Gründungsmitglieder der Gemeinschaft von 1957, die NATO von einem wieder gewählten Präsidenten Donald Trump aufgegeben und dadurch zu einem militärischen Zwerg wird und zwischen Westeuropa und Russland eine wacklige Pufferzone entsteht, die sich von der liberalen Demokratie verabschiedet und nach ungarischem Vorbild einen Autoritarismus im Stile Viktor Orbáns pflegt. In Rumänien, beispielsweise mit George Simion und seiner Hassliebe Diana [o{oac² in führenden Positionen. Trauriger geht es kaum, in einem solchen Szenario wird man sich an 2023 als an ein wundervolles Jahr erinnern.
Aber es war keines. Für Rumänien jedenfalls nicht. Die große Koalition der Sozialdemokraten und Liberalen hat das Land miserabel regiert und sich größtenteils nur noch mit Kungeleien, Geschäftemachen und grässlichen Spielchen beschäftigt, sich in der Sicherheit wiegend, dass es innenpolitisch keine Alternative gibt und der außenpolitische Druck längst nachgelassen hat. Die Brüsseler Peitsche ist zu einem harmlosen Zuckerstäbchen verkommen, die Angst davor wird nur noch dann geschürt, wenn das Volk in Europahass eingeübt werden muss.
Der Austausch des Premierministers im Frühsommer hat einen Mann an die Spitze des Kabinetts befördert, dessen bisheriger Werdegang, vor allem seine Bildung und seine Beziehungen zu dubiosen Gestalten der 1990er und 2000er Jahre, äußerst fragwürdig erscheint. Es wird sich so mancher an den mehrfach verurteilten Omar Hayssam erinnern, einem alten Freund Ciolacus. Wenn Politiker wie Ciolacu das Sagen haben, wird das Land so regiert, wie es 2023 tatsächlich regiert wurde. Seit zwei Jahrzehnten gab es keinen größeren und längeren Streik im Bildungswesen wie im Frühsommer und auch die Justiz wurde zwei Mal lahmgelegt: Im Juni-Juli streikten die Richter, im Dezember die Gerichtsschreiber. Dazwischen die Beamten der Finanzverwaltungen, Angestellte des Gesundheitswesens oder der Justizvollzugsanstalten. Streiks an sich sind selbstverständlich nicht das Problem, wie Ciolacu und seine amateurhaften Minister mit den vielfältigen Problemen dieser Gesellschaft umgingen, schon. Wie kaum ein anderes EU-Land wird Rumänien von ermüdenden Querelen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Berufskategorien geplagt, die an ihren gesetzlich verankerten Privilegien um jeden Preis festhalten, andere aufbauen wollen und in ihrer Selbstvergessenheit nur davon profitieren, dass man in Brüssel und auch anderswo andere Sorgen hat und derer selbst kaum noch Herr wird. Im Ernst: Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz und seine grünen und liberalen Koalitionspartner vom Bundesverfassungsgericht mit billigen Haushaltstricksereien erwischt werden, was soll man dann von Scholz’ Amtskollegen Ciolacu erwarten? Oder vom rumänischen Finanzminister, dessen Namen ich, zugegeben, immer wieder vergesse? Oder vom Arbeitsminister oder vom Wirtschaftsminister? Man kann sich nur fragen, ob es diese Leute wirklich gibt. Es gibt sie leider und sie fühlen sich auch dazu berufen, das Volk zu beglücken. Das letzte Trimester dieses Jahres, in dem Ciolacu und seine Chaotentruppe das rumänische Steuerrecht geändert und nochmals geändert und dabei sowohl den ökonomischen als auch den juristischen Sachverstand über Bord geworfen haben, beweist eindringlich, dass diese Leute es nicht können. Wer dann? Die heillos zerstrittene USR, die als politisches Projekt gescheitert ist? Die AUR? Um Gottes Willen. Wann versuchen wir es mit dem UDMR?
Das Glück besonders tüchtiger, ehrlicher und gebildeter Politiker hatte Rumänien noch nie, aber in diesem Jahr hat sich auf dramatische Art gezeigt, welche gravierenden Folgen die Fehlselektion haben kann. Erinnern wir uns an das Oberhaupt dieses Staates. 2023 ist das Jahr, in dem Rumäniens Staatspräsident Klaus Johannis nur noch mit sich selbst beschäftigt war, dies dürfte seine Lieblingsbeschäftigung sein. Sein angebliches Lieblingsprojekt, „România educat²“, ist im Land der mehrfachen PISA-Schocks, der zweimonatigen Lehrerstreiks, des rasant ansteigenden Drogenkonsums mit tödlichen Folgen, der einstürzenden Schülerinternate, ebenfalls mit tödlichen Folgen, und des funktionalen Analphabetismus, der bis hinauf in die Regierungsspitze ragt, ein derart schlechter Witz, dass der Präsident nie mehr darüber sprechen sollte. Ansonsten sieht seine Bilanz weiterhin traurig aus: Außenpolitisch bewirkte er kaum etwas und innenpolitisch hat er das Land einer unseligen Koalition von Dieben und Trotteln überlassen. Und weil er nur noch eine lahme Ente ist, werden nun die Spielchen ohne ihn gemacht, man bereitet sich halt auf die Zukunft vor. Dasselbe Schicksal ereilte 2014 auch Präsident Traian B²sescu, an dem bald niemand mehr Interesse hatte.
Wie gesagt, dem Land fehlte allzu oft eine Klasse kompetenter, halbwegs ehrlicher und gebildeter Politiker. Das ist keine Entschuldigung, sondern bloß eine Feststellung. Noch nie war die Führungsschicht dieses Landes derart schwach, derart dumm, derart unreif und derart peinlich wie jetzt. Selbst jene, die als Angstmacher dienen und deshalb da sind, damit das Volk das kleinere Übel wählt, sind dieses Mal so schrecklich, dass das vermeintliche kleinere Übel tatsächlich auch ein kleineres Übel ist. Man kann hier das, was sich Simion von der AUR-Partei und [o{oac² von weiß der Kuckuck, wem, kurz vor Weihnachten, im Parlament und vor laufenden Kameras gesagt haben, nicht reproduzieren, diese Zeitung ist und soll ein seriöses Blatt bleiben. Aber man sei vorbereitet: 2024 werden solche und ähnliche Gestalten für noch mehr Lärm sorgen und so mancher Bürger wird daran großen Gefallen finden. Wählen gehen ist 2024 deshalb Pflicht.
Die Zeiten bleiben kompliziert. Die Ohnmacht ist allgegenwärtig. Wendemöglichkeiten sind nicht in Sicht. Und der Himmel ist leer, genauso wie ihn vor 20 Jahren der im März 2023 verstorbene Banater Schriftsteller Richard Wagner sah. Für ihn war damals Europa der Ersatz für diesen leeren Himmel. Aller Ohnmacht zum Trotz, das sollte sich nicht ändern.