Mara-Daria Cojocaru, Ilinca Florian, Nadine Schneider und Alexandru Bulucz – vier junge deutschsprachige Autoren mit rumänischem Hintergrund: Unter dem Titel „Die Rumänen werden verstehen, worum es geht“ innerhalb des Internationalen Temeswarer Literaturfestivals FILTM (25. bis 28. Oktober) kamen diese Autoren zusammen, lasen aus ihren Werken und diskutierten anschließend mit dem Publikum. Am selben Tag sind sie auch vor deutschsprechenden Schülern der „Nikolaus Lenau“-Schule in Temeswar/Timișoara aufgetreten.
„Wir feiern heute Literatur!“, sagt die Deutschlehrerin Lorette Cherăscu im Auftakt des Treffens, das am Donnerstagvormittag, den 26. Oktober, in der Lenau-Schule stattfindet. Schüler der 9., 10. und 12. MI-Klassen bilden das Publikum im Festsaal. Vor ihnen vier junge deutsche Autoren. Sie alle haben etwas gemeinsam: Rumänien. Sie sind entweder in Deutschland von rumänienstämmigen Eltern geboren worden oder sind in Rumänien zur Welt gekommen und als Kinder ausgewandert. Diese rumänischen Hintergründe wiederspiegeln sich in ihrem Leben und ihren Werken. Auf Einladung des rumänienstämmigen Übersetzers und Dichters Ernest Wichner sind sie nun in der rumänischen Kulturhauptstadt Europas Temeswar bei FILTM zu Gast.
Mara-Daria Cojocaru ist Schriftstellerin und Philosophielehrerin. Sie wurde in Deutschland geboren, ihr Vater aber ist Rumäne. Trotz ihres rumänischen Namens spricht sie nur wenig Rumänisch. Sich mit vielen Vorurteilen konfrontieren zu müssen, das blieb ihr jedoch nicht erspart. „Wegen des Namens wurde ich oft gefragt, ob ich überhaupt Deutsch sprechen kann. Oder: Wie heißen Sie nochmal?... Mara-Daria Denrestsparichmir...“, erzählt die Autorin. Derzeit lebt sie in London und interessiert sich für politische Themen und Tierethik. Auch ihre Gedichte, die sie als Multi-Spezies-Poesie bezeichnet, wiederspiegeln das. „Das sind Geruchs- und visuelle Gedichte, die in der Interaktion zwischen Menschen und Hunden entstehen“, erklärt Mara-Daria Cojocaru.
Die Autorin hat bisher mehrere Gedichtbände veröffentlicht. Für ihr Schreiben wurde sie mit Literaturpreisen ausgezeichnet: Im Jahr 2017 mit dem Bayerischen Kunstförderpreis für Literatur; 2021 erhielt sie den Alfred-Gruber-Preis als Literaturpreis der Stadt Meran und den Lyrikpreis des Mondseelandes (Bayern).
Nadine Scheider ist 33 Jahr alt. Am Vormittag liest sie einen Auszug aus ihrem ersten Roman „Drei Kilometer“ (2019). „Rumänien 1989: Die Hitze ist drückend, das Getreide steht hoch, sonst würde man bis zur Grenze sehen können. Der Gedanke an Flucht liegt verlockend und quälend nahe, noch weiß niemand, was kommt und was in ein paar Monaten Geschichte sein wird. In einem Dorf im Banat, weit weg von Bukarest, dem Machtzentrum des Ceaușescu-Regimes, erlebt Anna einen Spätsommer von dramatischer und doch stiller Intensität.“ – Nadine Schneider erzählt von den persönlichen Verstrickungen in einer Zeit vor dem politischen Umsturz, auch wenn sie erst nach der Wende in Nürnberg geboren wurde. Ihr Debütroman wurde u. a. mit dem Hermann-Hesse-Förderpreis und dem Literaturpreis der Stadt Fulda ausgezeichnet. Inspiration dafür – die eigene Familiengeschichte, auswanderte Rumäniendeutsche aus dem Banat.
Auch in ihrem zweiten Roman „Wohin ich immer gehe“ handelt es sich um einen Mann, der Rumänien verlässt, in der BRD lebt und dann später nach Rumänien zurückkehrt. „Ich kann mich diesem Teil meiner persönlichen Familienbiografie nicht mehr anders annähern als durch Erzählen. Es gibt diese Dörfer, wie es sie damals gab, nicht mehr, es lebt niemand von meiner Familie mehr in Rumänien. Dies ist die einzige Möglichkeit, noch an diesen Ort zu gehen“, bekennt Nadine Schneider.
Auch Ilinca Florian spricht über Rumänien in ihren Schriften. „In meinem Debütroman wird aus der Perspektive eines kleinen Mädchens erzählt. Es geht um die letzten Monate vor der Revolution in Rumänien, also um die Zeit vom Sommer bis zum Dezember 1989. Und auch um die Familie des Mädchens, dessen Wunsch, auszuwandern, außerdem um innere Konflikte und Spannungen in dieser Familie. Der Roman ist autobiographisch inspiriert, jedoch keine reine Autobiographie. Einige Charaktere und Plot-Elemente sind vollkommen frei erfunden. Ich würde den Text als autofiktional beschreiben“, sagt die Autorin zu ihrem Roman „Als wir das Lügen lernten“. Ilinca Florian wurde 1983 in Bukarest geboren, ist als Kind nach Deutschland mit der Familie ausgewandert. Am heutigen Vormittag in der Lenau-Schule liest die deutschsprachige Schriftstellerin mit rumänischem Hintergrund zum ersten Mal vor einem rumänischen Publikum Auszüge aus ihren Werken.
Auch Alexandru Bulucz wurde in Rumänien, in Karlsburg/Alba Iulia, geboren. Er ist als Jugendlicher nach Deutschland ausgewandert – diese drastische Entscheidung und die Kindheit in Rumänien haben ihn stets begleitet – sagt er. Alexandru Bulucz ist freiberuflicher Autor, Übersetzer, Literaturkritiker und Redakteur und ist Träger mehrerer Literaturpreise, u. a. des Wolfgang-Weyrauch-Förderpreises für Lyrik 2019, und für Prosa, sowie des Deutschlandfunk-Preises des Bachmannwettbewerbs 2022. Gedichte in deutscher Sprache mit einem starken Rumänienbezug zählen zu seinem literarischen Schaffen. Heute liest er seine Gedichte „Maica Domnului“ und „Rumänische Träume“.
Im Anschluss an die Lesung der deutschen Autoren stellen auch drei Lenau-Schüler – Zara Chișevescu (9.MI), Astrid Beatrice Moț (10.MI) und Bernard Rudăreanu (12.MI) – ihre bei der Deutscholympiade preisgekrönten Texte vor. „Als ich Schüler dieses Gymnasiums war, kamen Autoren aus Bukarest von der Neuen Literatur, auch Redakteure, die mich damals sehr beeindruckt haben. Das war für mich Auslöser dafür, dass ich mich später mit Literatur beschäftigt habe. Ich wollte so sein wie sie. Es geht natürlich nicht allen so, aber für einige Schüler wird es bestimmt wichtig gewesen sein, diese Autoren heute getroffen zu haben“, sagt der Übersetzter, Autor und ehemaliger Lenau-Schüler Ernest Wichner, Gründungsmitglied der „Aktionsgruppe Banat“, zum Treffen in der „Nikolaus Lenau“-Schule.