Als Mitte Dezember das Temeswarer Kulturhauptstadt- Jahr offiziell zu Ende ging, verkündeten die Verantwortlichen einen glänzenden Erfolg. Man habe ein reiches Programm angeboten, hunderttausende Besucher gezählt und das Bild der Stadt im In- und Ausland deutlich verbessert. Auch aus den Fehlern habe man gelernt und plane bereits für die kommenden Jahre, denn das Kulturhauptstadt- Jahr stelle nur den Beginn eines neuen Zeitalters in der Stadtentwicklung dar, in dem Kultur zu einem wahren Markenzeichen wird und Temeswar zu einem festen Punkt auf der kulturellen Landkarte Europas. Und, weil es die Stadtverwaltung ernst meint, oder zumindest diesen Eindruck erwecken möchte, lancierte sie sofort auch einen Plan: Anstelle des 700er Marktes, einem Schandfleck der Innenstadt, soll ein Konzertsaal gebaut werden, einen internationalen Architekturwettbewerb wolle man veranstalten. Näheres dazu werde man später mitteilen.
Voreilige Schlüsse sollte man nicht ziehen, weder harte Kritik noch ausschweifendes Lob sind angebracht. Eines kann man jedoch mit Vernunft behaupten: Ein Desaster war das Kulturhauptstadt- Jahr nicht, wenn auch kein Erfolg von unbekanntem Ausmaß. Nach den Querelen der Jahre 2016 bis 2020, als die Verantwortlichen in endlosen Streitigkeiten verloren zu sein schienen, konnte man, bis Ende 2022, ein Programm planen und es 2023 auch umsetzen. Veranstaltungen gab es, so zumindest das Gefühl jener, die sie verfolgen und darüber berichten mussten, sehr viele. An zahlreichen Orten in der Stadt, mit vielseitigem Inhalt, mit wechselndem Publikum und, versteht sich, von wechselnder Qualität und mit wechselndem Erfolg. Nicht alles, was geboten wurde, glänzte, aber es gab auch einige Glanzpunkte auf dem Programm: Zwei Ausstellungen im Kunstmuseum, die Victor-Brauner-Schau im Frühjahr und die Constantin- Brâncuși-Retrospektive, die bis Ende Januar 2024 läuft; die Aufführung von Arnold Schönbergs Gurre-Liedern im Rosengarten, die Ausstellung zeitgenössischer Kunst in der Franz-Josephs-Kaserne sowie die Besuche internationaler Größen wie Peter Sloterdijk und Orhan Pamuk. Auch die Großveranstaltungen der Banater Deutschen müsste man da erwähnen und gerade in diesem Zusammenhang müsste zumindest dem Kreis der Leser dieser Zeitung einleuchten, dass Rumäniens bisher einzige Kulturhauptstädte, Hermannstadt/Sibiu und Temeswar, eben die bedeutendsten urbanen Zentren der rumäniendeutschen Geschichte und Kultur sind. Das ist nicht von ungefähr.
Hätte man 2023 in Temeswar mehr machen können? Sicherlich. Aber es hätte auch alles viel schlimmer kommen können. Wie es den Ungarn 2010 in Fünfkirchen/ Pécs erging, die zwar viel Geld in die Hand nahmen, ohne dass aber aus ihrer, in ihrem Kern eigentlich recht hübschen Stadt, eine internationale Touristenattraktion geworden ist. Und wenn man sich an den Dauer- Streit erinnert, der Anfang 2018 begonnen und den damals bestimmenden Temeswarer Kulturhauptstadt- Verein über Jahre hindurch lahmgelegt hat, kann man sich nur wundern, dass man es an der Bega doch noch zu etwas gebracht hat. Wenn man dann auch noch das mangelnde Interesse der Zentralregierung und das fast immer fehlende Geld aus Bukarest bedenkt sowie den permanenten Streit zwischen der PNL-Kreisverwaltung und dem von der USR geführten Bürgermeisteramt in Betracht zieht, wundert man sich noch doller. Es gab Veranstaltungen, manche auch ganz gut, die besucht waren, es gab zahlreiche in- und ausländische Touristen, über Temeswar wurde auch international berichtet. An mancher westlichen Berichterstattung kann man verzweifeln, aber das ist nichts Neues. Und auch nichts Unerhörtes. Einen großen Abwesenden gab es, noch sitzt er auf Schloss Cotroceni, aber von seiner Größe ist nicht viel übriggeblieben.
Ihre Hausaufgaben haben also die Veranstalter einigermaßen gemacht, einige Prüfungen haben sie bestanden, aber bestimmt nicht die schwierigsten. Den Bürgern etwas schuldig geblieben sind die Behörden allemal, sowohl die Regierung als auch die Stadt- und Kreisverwaltung. Einiges auf der Liste gehört zu den Verpflichtungen, die man 2016, als der Kulturhauptstadt-Titel verliehen wurde, gegenüber der Europäischen Kommission versprochen und bis heute noch nicht eingelöst hat. An seriösen Investitionen in die Kulturinfrastruktur mangelt es noch immer, es wurde kaum etwas getan. Zwei Kinos aus der kommunistischen Zeit konnten saniert werden, an einem dritten arbeitet man noch. Veranstaltungssäle von Format gibt es nicht, das Revolutionsmuseum in der habsburgischen Stadtkommandantur besteht nur auf dem Papier, aus dem 2013-2014 angekündigten Stadt-Museum im ehemaligen Spital der Barmherzigen Brüder wurde gar nichts, das Banater Museum im Hunyadi-Kastell ist seit 2006 geschlossen, eine Teil-Eröffnung in diesem Jahr ließ die Geschichte von fast zwei verlorenen Jahrzehnten nur noch peinlicher wirken als sie es sowieso ist. Dass Kommunalpolitiker wie Bürgermeister Dominic Fritz und Kreisratschef Alin Nica auch 2023 streiten würden, das war von vornherein absehbar, das Kulturhauptstadt-Jahr bot weiterhin genug Zündstoff. Es wird sich in diesem Zusammenhang noch zeigen müssen, ob ausgegebenes Steuergeld auch zweckmäßig ausgegeben wurde. Die günstigsten Voraussetzungen dafür bietet der bevorstehende Wahlkampf, der für die Temeswarer USR und ihren Bürgermeister zum Überlebenskampf werden könnte, aber darüber ein anderes Mal.
In einer Ende Juni veröffentlichten Zwischenbilanz des Temeswarer Kulturhauptstadt- Jahres hatte ich geschrieben, dass die Chance, die die Stadt mit der Verleihung des Titels einer Kulturhauptstadt Europas bekommen hat, jene ist, den Staub der Provinz abzuschütteln, der sich in den vergangenen Jahrzehnten in einer dicken Schicht angesammelt hat. Ja, die Chance, den Weg in die Gegenwart einzuschlagen, als erster notwendiger Schritt auf dem Weg in die Zukunft. Ob dieser Weg auch eingeschlagen wird, wird sich in den kommenden Jahren zeigen, es ist jetzt tatsächlich viel zu früh, um eine klare Antwort auf diese Frage geben zu können.
Auf einem Kontinent, der auf Krisenmodus geschaltet hat, in einem Land, das 2023 so furchtbar wie kaum nach der Wende regiert wurde, hatte Temeswar eines seiner besten Jahre seit 1989. All den Mängeln, den Unzulänglichkeiten, den Politikern und Funktionären, dem Dauergezänk und dem hemmenden, lästigen Lärm zum Trotz. Dieses Fazit darf man getrost wagen. Es bleibt wohl in diesem Zusammenhang nur zu hoffen, dass Kommunalpolitiker und Kulturplaner wirklich das tun, was sie versprochen haben, nämlich die Kultur zu einem Pfeiler der Stadtentwicklung zu machen. Und, dass sie dafür die menschlichen sowie die finanziellen Ressourcen finden. An beiden mangelt es noch, an ersteren mehr noch wie an zweiteren. Und übrigens: Die Brâncuși- Schau läuft noch bis zum 28. Januar 2024. Sie sollten hingehen.