„Grenzen traditioneller Geschichtsschreibung durchbrechen“

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Endlich ist sie da, die deutsche Ausgabe von „Istoria Banatului. Studii privind particularitățile unei regiuni transfrontaliere“, herausgegeben von Victor Neumann, unter dem Titel „Das Temeswarer Banat. Eine europäische Regionalgeschichte“. Das Werk erschien 2015 in rumänischer Sprache im Verlag der Rumänischen Akademie und hat viel Aufsehen erregt. Allgemein positiv bewertet, konnte schon 2016 eine zweite erweiterte Auflage herauskommen, gefolgt 2019 von einer Übersetzung in englischer Sprache.

Victor Neumann, Professor für Neuere Geschichte an der Universität des Westens Temeswar (Universitatea de Vest din Timișoara), war es gelungen, für sein groß angelegtes Projekt Fachleute aus dem In- und Ausland, die Beziehungen zum Banat haben zu gewinnen. Es sind dies, in alphabetischer Reihen- folge, Slobodan Bielica, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Novi Sad (Neusatz), Serbien, Vasile Dudaș, Historiker und Museograph in Temeswar, Rumänien, Teodor Octavian Gheorghiu, Architekt an der Polytechnischen Universität Temeswar (Universitatea Politehnică Timișoara), Rumänien, Grozdanka Gojkov, Professorin aus Vršac (Werschetz), Serbien, Armin Heinen, Professor für Neuere und Neueste Geschichte, i.R., an der RWTH Aachen, Deutschland, Áron Kovács, Historiker am Reformierten Kirchenkolleg in Sárospatak, Ungarn, László Marjanucz, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Szeged, Ungarn, Miodrag Milin, Historiker, Professor an der Universität „Aurel Vlaicu” in Arad, Rumänien, Adrian Negru, Kunsthistoriker, Professor in Vršac (Werschetz), Serbien, Gabriel Székely, Architekt, Historiker an der Universität für Landwirtschaft und Veterinärmedizin des Banates „König Michael I. von Rumänien“, Temeswar (Universitatea de Științe Agricole și Medicină Veterinară a Banatului „Regele Mihai I. al României”, Timișoara), Rumänien, Mihaela Vlăsceanu, Kunsthistorikerin, Dozentin an der Universität des Westens Temeswar (Universitatea de Vest din Timișoara), Rumänien.

Der Historiker und Kultur- und Kunstwissenschaftler Răzvan Theodorescu, Mitglied der Rumänischen Akademie, schrieb damals das Vorwort, das mit folgenden Worten begann: „Ich muss zugeben, auf dieses Buch habe ich lange Zeit gewartet! Das Banat als zivilisatorischer Raum hat mich in meiner Jugend mit seiner ausfächernden Kultur, die drei Grenzen überschreitet, tief berührt.“

Weiter stellt er fest: „Den Autoren gelingt es, einen europäisch erweiterten Blick auf die Geschichte des Raumes vom 18. Jahrhundert bis Ende des 20. Jahrhunderts zu werfen und dabei gleichermaßen ins Detail zu gehen, wie auch die großen Linien herauszuarbeiten.“

Die nun vorliegende deutsche Ausgabe wurde von Armin Heinen, der seit 1986 mehrere Studien zu Themen aus Rumänien publiziert hat und der schon längere Zeit mit Victor Neumann zusammen arbeitet und mit ihm das Reinhart-Kosellek-Graduiertenkolleg zur rumäni- schen Begriffsgeschichte begründet und eingerichtet hat, herausgegeben. Das voluminöse Werk beinhaltet zwei Dut- zend wissenschaftliche Beiträge, von denen genau die Hälfte von Victor Neumann stammen, der auch als Herausgeber zeichnet.

Im Vorwort stellt Armin Heinen die Art und Weise, wie die Autoren an die gestellte Aufgabe herangegangen sind, vor: „Geschichtswissenschaft handelt von Menschen, ihrem Agieren und Leiden, ihren Hoffnungen und Enttäuschungen, ihren Idealen und Abgründen, auch von den Weltwahrnehmungen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Geschichte – darauf ist zu bestehen – wird von Menschen gemacht und täglich kommunikativ und praktisch hergestellt, mal explizit, zumeist jedoch implizit. Handlungstheo- retisch entsteht daraus Kultur oder Gesellschaft, Politik oder Religion.

Der vorliegende Band stellt die Menschen und deren Vielfalt in den Mittelpunkt, fragt nach den Grundlagen fruchtbaren Zusammenlebens, trotz sprachlicher, religiöser, sozialer Differenzen. Geschichtswissenschaft, so konzipiert, steht für Komplexität statt für Vereinfachung, für Widersprüchlichkeit statt für Stringenz. Geschichtswissenschaftliche Narrationen dieser Art berichten von vielfachen Anfängen, Scheitern und Brüchen. Menschen sind keine Helden, sondern handeln in der Zeit, wandeln ihre Identität, verändern ihre Weitsicht. Identität ist nichts Vorgegebenes, sondern momentanes Ergebnis komplexer äußerer Gegebenheiten und beharrlicher Eigenanstrengungen.“

Weiter ergänzt Victor Neumann und wird konkret: „Der vorliegende Band ‘Das Temeswarer Banat. Eine europäische Regionalgeschichte’ zielt darauf ab, die Grenzen traditioneller Geschichtsschreibung zu durchbrechen, um dadurch dem Gegenstand besser als zuvor gerecht zu werden. Als Region weist das Banat zahlreiche Eigenheiten auf, Resultat seiner spezifischen geografischen Lage, der multi- und interkulturellen Prägung seiner Struktur, ebenso der kulturellen Vielfalt seiner Menschen. Ohne intensive Archiv- und Bibliotheksstudien in vielen der für das Banat wichtigen Ländern – in Rumänien, Österreich, Serbien, Ungarn, Deutschland, um die wichtigsten zu nennen – wäre ein solcher Neuansatz kaum möglich gewesen.

Freimachen wollten wir uns von sprachlichen, religiösen, ethnischen oder nationalen Verengungen. Deshalb reflektieren die Autoren unterschiedliche Perspektiven. Wir stellen das soziopolitische, religiöse und kulturelle Leben der Menschen in der Region vor, gehen aber auch auf wichtige Ereignisse ein und thematisieren Entscheidungen, die durch Einwirkung von außerhalb getroffen wurden. Dabei durchstreifen wir drei Jahrhunderte, ausgehend vom 18. Jahrhundert und endend an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert.

Das Europa von heute hat aus der Geschichte des Banats, so wie wir sie er zählen, viel zu lernen. Das gilt insbesondere auch für jene Staaten Europas, die das Banater Erbe durch die Teilung des Raumes 1920 in den eigenen Kulturhaushalt übernommen haben.“ Nachdem alle Autoren ihre Ar- beiten abgeliefert hatten, konnte Victor Neumann als Initiator und Herausgeber mit Genugtuung schließen: „‘Das Temeswarer Banat. Eine europäische Regionalgeschichte’ handelt vom Leben in einer Grenzregion, betrachtet die Vergangenheit und besichtigt die Gegenwart. Wie wichtig ein unverstellter, offener, europäischer Blick ist, wird dadurch deutlich, dass wir mit unserem Ansatz in der Lage sind, das Miteinander der Menschen und Gruppen zu schildern, aber auch die Ursachen für ein zeitweises Auseinanderleben zu benennen.

Wenn wir nun alles zusammenfassen, dann haben wir versucht, die außergewöhnliche Geschichte des Banats dem Leser oder der Leserin nahezubringen – dabei durchaus bewusst, dass jede europäische Regionalgeschichte ihren Eigenwert hat. Gleichzeitig hilft eine solche lebensweltliche, zukunftsorientierte, europäisch ausgerichtete Analyse des Vergangenen, die Richtung zu bestimmen, in der Temeswar sich zu entwickeln vermag. Insofern bedeuten die Erhebung Temeswars zur europäischen Kulturhauptstadt und der dadurch erforderliche Blick auf die Historizität und Identität der Stadt eine große Chance. Diese gilt es wahrzuneh- men, um Temeswars Zukunft miteinander zu gestalten.“

Es ist somit ein besonderer Glücksfall, dass dieses Buch heuer, wo wir Temes- war als Europäische Kulturhauptstadt feiern durften, erschienen ist. Als Deutscher aus dem multiethnischen Banat, wo man auch heute noch in der Bevölkerung neun – früher waren es sogar elf – Sprachen spricht, kann ich daher nur sagen: Die Autoren verdienen höchstes Lob und dankbare Anerkennung.

Herzliche Glückwünsche den Autoren und den Herausgebern für die großartige Leistung.

Unserem lieben Banat und seiner Hauptstadt Temeswar gelte: „Vivant, crescant, floreant ad multos felicissimosque annos!”


„Das Temeswarer Banat. Eine europäi- sche Regionalgeschichte“. Herausgeber: Victor Neumann, Walter de Gruyter Gmbh, Berlin, Boston, 2023  
 

Sursa: https://adz.ro/artikel/aktuell/artikel/grenzen-traditioneller-geschichtsschreibung-durchbrechen

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