Ihr sanfter, ausdrucksstarker Blick streift von einem Gast zum anderen. Sie möchte ungern in der Mitte vor dem Publikum sitzen, doch am heutigen Donnerstag, Anfang Dezember, hat sie keine andere Wahl. Der weiße Poncho mit schwarzen Zeichnungen darauf verdeckt ihre beiden Arme – das Publikum soll später erfahren, dass sie eine Verletzung an ihrem rechten Arm erlitten hat. Die Künstlerin Suzana Fântânariu steht im Mittelpunkt des Ereignisses, das an jenem Tag im Temeswarer Kunstmuseum über die Bühne geht. Die größte Ausstellung, die ihr gewidmet ist, wird zuerst für die Medien präsentiert und erlebt am selben Nachmittag ihre Vernissage. Suzana Fântânariu ist eine Größe ihres Schaffensbereichs – und doch so bescheiden.
„Katharsis an einem Rande der Welt. Suzana Fântânariu, eine Retrospektive”, titelt sich die Ausstellung, die am 7. Dezember im Nationalen Kunstmuseum in Temeswar eröffnet wird. Darüber sprechen Kuratorin Andreea Foanene und Kunstmuseumsleiter Filip Petcu. Im Jahr der europäischen Kulturhauptstadt sei es für sie wichtig gewesen, auch lokale Künstler, die es zu internationalem Ansehen gebracht haben, zu würdigen. Einer dieser zeitgenössischen Künstler ist Suzana Fântânariu, die seit 1986 in Temeswar lebt und arbeitet.
Geboren wurde die Künstlerin Suzana Fântânariu am 15. September 1947 in Baia, im Kreis Suceava. Von dort verschlug es die junge Lyzeumsabsolventin ganz weit weg von zu Hause – nach Klausenburg/ Cluj-Napoca, an das „Ioan Andreescu“-Institut der Schönen Künste, das sie zwischen 1968 und 1974 besuchte. Es waren die schweren Jahre des Kommunismus, die auch den Stil Suzana Fântânarius geprägt haben. Das Bedrückende jener Jahre spiegelt sich in ihren Werken, sagt sie selbst und weist auf einige Grafiken aus ihrer Studentenzeit hin. Viele Jahre später schickte sie eines dieser Werke nach Japan zu einer bedeutenden internationalen Ausstellung – das im Kommunismus entstandene Bild schaffte es unter die besten.
Nach Abschluss des Klausenburger Kunstinstituts ging Suzana Fântânariu für 12 Jahre nach Craiova, wo sie die Grafikabteilung des Marin-Sorescu-Kunstlyzeums gründete. Zu ihren Schülern zählen mehrere wichtige rumänische Künstler, wie zum Beispiel Ioana Bătrânu, Darie Dup, Ortansa Ilie, Lucian Irimescu, Alina Roșca, Luminița Țăranu oder Marian Zidaru. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre siedelte sie nach Temeswar um, wo sie sowohl als Kunstlehrerin als auch als Künstlerin aktiv war. Zunächst unterrichtete sie zwischen 1988 und 1989 am Temeswarer Kunstlyzeum, dann an der neu gegründeten Abteilung für Grafik der Fakultät für Kunst und Design der West-Universität Temeswar, wo sie bis heute tätig ist. Durch ihr Wirken beeinflusste sie zahlreiche Künstlergenerationen, darunter Ciprian Ciuclea, Ciprian Chirileanu, Tiberiu Giucă, Florin Hațegan, Mihai Zgondoiu, Renée Renard, Remus Rotaru, Mircea Popescu, u. a.
Die Retrospektivausstellung, die derzeit in der Paul-Neagu-Galerie des Temeswarer Kunstmuseums zu sehen ist, ist eine von noch nie dagewesener musealer Größe. Thematisch und kontextuell präsentiert sie mehr als 130 Werke in verschiedenen Techniken (Grafik, Malerei, Bildhauerei, Zeichnung, Objekt, Buch-Objekt, Installation, Gravur, Performance) zusammen mit einer umfangreichen Sammlung von dokumentarischen Fotografien, Multimedia-Material, Katalogen, Broschüren, Autorentexten u.v.m. Als erste Gewinnerin des Constantin-Brâncuși-Schaffensstipensiums 2006 an der Cité International des Arts in Paris entwickelt Suzana Fântânariu ihr Werk auf einer komplexen, vielseitigen und multidirektionalen Art und Weise, indem sie sich traditionellen und zeitgenössischen Stilen und Techniken nähert, die sie bis heute immer wieder ausbaut und erneuert. „Das Schaffen von Suzana Fântânariu ist organisch, umfassend und systemisch, wie aufeinanderfolgende Schichten, die den Strukturen der Natur und der anthropologischen Geschichte eigen sind, es variiert exponentiell und es verbindet sich mit verschiedenen Realitäten auf atypische Weise, die sich in potenzielle autonome Richtungen verwandeln und eine Zeit und einen Raum charakterisieren, die sie mit Innovation und Inhalt füllen”, betont Andreea Foanene, die Kuratorin der Ausstellung und selbst eine ehemalige Studentin Suzana Fântânarius. Ausgestellt werden Werke aus den wichtigsten Perioden ihres Schaffens, beginnend mit dem Studium am Klausenburger Institut der Schönen Künste und bis heute.
In den Anfängen ihrer Schaffenszeit praktiziert sie die Gravur in Hoch- und Tiefrelief, wie beispielsweise in ihren Werken „Narațiuni istorice“ (1971), „Învingătorii pedepselor impuse“ (1971) oder „Ecouri la o chemare“ unter der Koordination von Prof. Feszt László. Ebenfalls in diese Zeit fällt das Interesse der Künstlerin für wissenschaftlich-philosophische Themen wie das „Möbius-Band“. In der Ausstellung kann ein Teil der Gravuren, die die Diplomarbeit der Künstlerin bilden, besichtigt werden. „Structuri ternare“ (1975) wurde in mehreren Gravur-Techniken realisiert und behandelt das Thema der Genesis und der abstrakten Verbindung zwischen einzigartig und vielfältig.
Das Buch wird für Suzana Fântânariu zu einem Dialogpartner und steht im Mittelpunkt ihres Schaffens in den 2000er Jahren. Das Buch mit Flügeln oder das Buch, das der Schwester ihres Vaters, deren Namen sie auch trägt, gewidmet ist, kann in der Ausstellung bewundert werden. Ihre Tante war 13 Jahre lang während des Kommunismus in politischer Haft, weil sie mit dem Verbrennen einiger Bücher nicht einverstanden war – sie galt als vehemente Gegnerin des Systems.
Auch die rumänische Revolution von 1989 wird zum künstlerischen Thema. Suzana Fântânariu war 42 Jahre alt, als der Antikommunismus-Kampf in Temeswar ausbrach. Die Werke, die dieses Thema behandeln – „89 din ușă“ (2014) und „89 din fereastră“ (2017) – gehören heute zur Sammlung der Gedenkstätte der Revolution. Zu den Werken von beeindruckender Größe, die in der Retrospektivausstellung zu sehen sind, zählen beispielsweise jene, die unter dem Titel „Ambalaje pentru suflet“ zusammengefasst sind. Sie widmet sich den 3D-Figuren ab dem Anfang der 90er Jahre. Dieses Hyper-Thema der anonymen Körper, die aus Papier geschaffen und mit Grafiken (meist Xylogravuren) versehen sind, werden zu einem Markenzeichen der Künstlerin.
Eine Besonderheit der Ausstellung sind die Werke, die die Künstlerin 1992 bei der Ausstellung „Pământul“ in den Räumen des jetzigen Barockpalais präsentiert hat. Es handelt sich um eine Installation mit 14 Teilen in der Form von Gräbern, die aus Fassadenresten von damals dem Verfall überlassenen historischen Gebäuden geschaffen wurden. „Die universelle Mission eines Künstlers ist es, seinen Kopf mit Botschaften zu füllen und diese Botschaften wandern zu lassen“, sagt Suzana Fântânariu.
Die Ausstellung „Katharsis an einem Rande der Welt“ kann bis zum 30. Mai 2024 besichtigt werden.