„Was ist dir schon wieder durchgebrannt?“, habe sein Vater stets neugierig gefragt, wenn zuhause beim autodidaktischen Zerlegen und Wieder-Zusammenbauen allerhand elektronischen Zubehörs erneut etwas kaputtgegangen war und es nach Kleinbestandteilen roch, die das Experimentieren nicht überlebt hatten. Denn Lucian Lupean wusste schon früh als Schüler, dass ihn nichts dringender interessiert, als „meine Nase in Apparate zu stecken“ – viel tiefer natürlich als Benutzer, die nur einkaufen, kaum oder gar nicht im Handbuch nachlesen und zum Gebrauch einfach Knöpfe betätigen. Am Octavian-Goga-Gymnasium in Hermannstadt/Sibiu, wo er das Abitur bestanden hat, war er glücklicher Bankdrücker einer Klasse mit Spezialfachunterricht im Fach Elektronik.
„Ein Jahr später war es vom Stundenplan gestrichen.“ Die angegilbten Zeitschriften und Fachbücher der 90er- und 80er-Jahre vom rumänischen Markt, ohne die das Lernen bestimmt mühsamer gewesen wäre, bewahrt Lucian Lupean noch heute gesammelt auf. Weil sie alles Wichtige erklären. Alles Technische entwickelt sich weiter, doch die Prinzipien bleiben gleich.
Manchmal kommen ihm Geräte unter die Finger, die zur Reparatur „nur ein Tröpfchen Öl“ benötigen, das sogar Kunden selbstständig zur Hand haben könnten, wenn sie nur davon wüssten. Das jedoch ist beileibe nicht die Regel. In seinem Atelier geht es täglich um das Ausbauen meist brauner, gelber oder grüner Leiterplatten. Die sind das Herz jedes elektronischen Haushaltsapparats und könnten auch von Laien mit den richtigen Feinwerkzeug freigelegt werden. Aber spätestens dann ist Fahnenstange und für die eigentliche Operation ein Fachmann gefragt. Vor 25 Jahren, als Lucian Lupean den Schritt in die Freiberuflichkeit wagte, brauchte er ähnlich wie ein Zahnarzt am Karrierestart noch keine Spezialbrille mit Lupenwirkung für die feinsten Arbeitsschritte. Heute als Mittfünfziger dafür geht ohne sie nichts mehr.
Wertschätzung alter Vermögen
Ob ihm als Elektro-Reparateur auffalle, dass die Kunden-Wünsche sich binnen eines Vierteljahrhunderts seit 1998 gewandelt haben? Ja und Nein, sagt Lucian Lupean. Festnetz-Telefone, Radio-Apparate und Fernseher waren schon damals sein Betätigungsfeld, und auch der letzte Schrei des Hochmodernen auf dem liberalen Weltmarkt, wovon er während seiner Jugend im kommunistischen Rumänien nur träumen konnte, funktioniert auf Basis ein und derselben alten elektronischen Grundregeln. Für die Berechnung des Widerstands das Ohm´sche Gesetz, das ganz klar indiziert, welches Metall sich wozu eignet oder nicht, und die beiden Kirchhoff´schen Gesetze für das Bauen ausgeglichener Stromkreise, die den Materialverschleiß auf ein Minimum reduzieren. Schlanke Flachbildschirme etwa vom rumänischen Hersteller Nei Electronics International SRL kommen darum genauso wenig herum wie sperrige Röhrenfernseher älterer Zeiten.
Zwar spricht er es nicht direkt an, doch die wahrscheinlich größte Leidenschaft legt Lucian Lupean im Rehabilitieren von Apparaten an den Tag, die schon lange nicht mehr produziert werden. Je älter, desto verlockender. „Machen Sie ihn bitte wieder funktionstüchtig, ganz gleich, was es kostet!“ Nichts hört er lieber in seinem Atelier gegenüber der Rumänischen Nationalbank-Filiale im historischen Kern von Hermannstadt/Sibiu. Und dass eine gewisse Kundschaft seiner Werkstatt sich für 40 bis 50 Jahre alte Plattenspieler interessiert, die unbedingt zu mehr als nur einem Entsorgen in den Schrotthaufen taugen, findet er ebenso beachtlich. Mit der Technik des 21. Jahrhunderts Schritt zu halten, ist nicht weniger wichtig wie der Kontakt zu „Nostalgikern“ und das leidenschaftliche Bedienen ihrer Anfragen.
Wenn es Leute gibt, die aus eigener Erfahrung genau wissen, wie sich Kindheit, Schulzeit, Jugend, Studium und Erwachsenwerden unter Fast-Totalausschluss vom internationalen Elektronik-Markt anfühlen, dann Experten vom Schlag eines Lucian Lupean. „1987 bat ich meinen Vater, ein Abspielgerät für Farbvi-deos der Marke CASIO zu kaufen.“ Das Aha-Erlebnis, das er als 20 Jahre junger Tüftler damit hatte, lässt ihn raunen, als ob es gerade erst gestern geschehen wäre. „Eine Dacia kostete 55.000 und ein Video-Gerät 40.000 Lei.“
Täglich durch die Türe des Ladens „Dioda“ in einem Wohnblock nicht weit weg vom sozialistischen Kaufhaus „Dumbrava“ in der Mitte Hermannstadts ging er auch. Aber da gab es nichts als nur die Produkte der IPRS Băneasa (Întreprinderea de Piese Radio și Semiconductori), des „einzigen Betriebs landesweit, der elektronische Komponenten herstellte“. Integrierte Schaltkreise? Fehlanzeige. Sie waren nicht gesetzlich verboten, doch am nationalen Markt schlicht nicht zu haben. Der Fachladen „Dioda“ hat sich halten können, bis irgendwann nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die koreanische und japanische Ware auch Rumänien eroberte. Die sich „viel besser als unsere eigene“ herausstellte, wie Lucian Lupean offen einräumt. Überhaupt nicht gut zu sprechen ist er dafür auf „die chinesischen“ Produkte.
Auch wenn es sie schon seit geraumen Jahren nicht mehr gibt, die eigentliche „Dioda“, hat im Hermannstädter Volksmund ihren Namen dem betreffenden Wohnblock abgetreten und ist nach wie vor Referenz. Ähnlich schaut Lucian Lupean auf seinen Berufsstart in den Hallen der „Independența“-Werke zurück. Verlassen hat er sie 1998, weil „meine wertvolle Eignung nicht für voll genommen wurde“, doch irgendwo stolz darauf, als Elektroniker unter ihrem Dach angefangen zu haben, ist er dennoch. „In einer Abteilung der Fabrik wurden Metallketten produziert, und wir waren darin sehr, sehr wettbewerbsfähig, konkurrierten in der Weltspitze allein mit den Kanadiern.“
Zeit ist nicht das einzige Kriterium
Nur ist weder die Selbstverabschiedung der einst schlagkräftigen Hermannstädter „Independența“ in die Bedeutungslosigkeit noch die Biografie von Lucian Lupean ein Einzelfall. „Viele Leute haben damals in den Fabriken gekündigt und sich selbstständig gemacht. Aber es war ziemlich schwer, es wütete die Inflation, und was man selber tat, taten auch viele andere.“ Wie er als junger Mann Anfang der Dreißiger ohne festen Arbeitsvertrag die harte Zeit bewältigte, mag er verständlicherweise nicht weiter detailreich ausführen. Viel eher besteht er darauf, dass in Rumänien jede helfende Hand nötig wäre, dem Trend zum Trotz, dass viele von hier weg wollen. „Este o pâine de mâncat în România.“ Für Lucian Lupean kein Grund zu anspruchsvollen Karriere-Wünschen, sondern ein Ansporn, keinen Gedanken an den Eintritt in das Rentenalter zu verschwenden. Die Falle nämlich, zu der es mutieren kann, hat nicht den Hauch einer Chance, ihn auf falschem Fuß zu erwischen. „Când faci o pauză, o faci definitiv.“ Das Werkeln mit den eigenen zwei Händen verträgt keinen Stillstand.
Kunden steht er fünfmal pro Woche jeweils sechs Stunden täglich zur Verfügung. Wer sich zur Kritik bekennt, dass rechnerisch der acht Stunden lange Arbeitstag darunter leidet, tut ihm sehr unrecht. Lucian Lupean schließlich braucht in seinem Atelier bei so vielen Informationen, die beachtet sein wollen, einen klaren Kopf; und es ist nicht so, dass Lektüre, Recherche und Sortierung von Daten, die außerhalb der Publikumsverkehrszeiten geschieht, dem Publikum nicht nützt. Zumal er in Hermannstadt Mechanik studiert hat, weil ihm sein universitärer Wunschort Temeswar für Elektronik aus etwas zu viel falscher Bescheidenheit unerreichbar schien.
Aber er hat sich behauptet und ist ständig erste Ansprechperson im Netzwerk des Hermannstädter Elektro-Gebrauchtwarenmarkts, der sich in der Unterstadt konzentriert. Wer bei ihm anklopft, muss oft zehn, elf oder zwölf Tage Wartezeit in Kauf nehmen, so ausgelastet ist Lucian Lupean. Sogar Maestro Fred Nuss (1934-2022), der seine Fotoapparate gerne eigenhändig zu reparieren pflegte, war ab und zu auf sein Können angewiesen: „Lucian, hilf du mir bitte, das hier überfordert mich!“ Der Elektro-Tüftler, der täglich mit dem Fahrrad sein Atelier in der Fleischergasse/Mitropoliei ansteuert, das er als Mieter betreibt und worin Werkzeuge, Schubladen, Schachteln und Kabel sich schön geordnet bis an die Decke hoch stapeln, weiß, was zählt. „Wenn du etwas anpacken möchtest, tue es mit Leidenschaft, und es wird dir gelingen.“