Minderheiten leben mehr Europa

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 Hochrangige Vertreter, Beamte, Parlamentarier und Experten kamen auf Einladung der Hanns Seidel Stiftung vom 19. bis 21. Oktober nach Temeswar, in die diesjährige Kulturhauptstadt Europas, um sich über Minderheitenrechte in Europa und beste Praktiken auszutauschen, jedoch auch aktuelle Konflikte aus Perspektive der Minderheitenpolitik zu betrachten. 

Der Moderator des ersten Tages war der Geschäftsführer des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), Benjamin Józsa, der freundlich, bestimmt und mit Witz in deutscher Sprache durch das Programm führte. Begrüßt wurden die Teilnehmer im Festsaal des Adam-Müller-Guttenbrunn-Hauses vom Vorsitzenden des Demokratischen Forums der Deutschen im Banat, Dr. Johann Fernbach, vom DFDR-Landesvorsitzenden Dr. Paul-Jürgen Porr  und dem Bürgermeister der Stadt Temeswar, Dominic Fritz, der in seiner Rede unterstrich, dass Mehrsprachigkeit interkulturelles Verständnis fördere, dass es in der Stadt eine natürliche Vielfalt gäbe, die ein Innovationsmotor durch die Jahrhunderte hindurch war und ist und dass Neuinvestoren gerade dies anziehe.

Den ersten Teil der Tagung bestritten sodann Vertreter des DFDR sowie der Vorsitzende der Hanns Seidel Stiftung, Markus Ferber, MdEP, der einen Impulsvortrag auf Englisch über die legislative Grundlage des Minderheitenrechts in Europa mit den verschiedenen Säulen auf EU- und nationaler Ebene hielt. Dabei wurde eingangs festgestellt, dass es in der Europäischen Union unterschiedliche Ansätze und Phasen zur Förderung des Minderheitenschutzes und der Vielfalt in den Mitgliedstaaten und Regionen gibt. Ferber ging auf die geschichtliche Entwicklung der europäischen Rechtslage in Bezug auf Minderheitenschutz, insbesondere zur Wahrung von Sprache und kultureller Identität, ein, erklärte die Haupterrungenschaften verschiedener internationaler Abkommen und Resolutionen, doch machte er auch kein Geheimnis daraus, dass ältere EU-Mitgliedsstaaten bestimmte Forderungen in Bezug auf Minderheitenschutz nicht ratifiziert hätten und dass in Europa überhaupt Minderheitenrecht sehr unterschiedlich ausgelegt werde. Abschließend unterstrich der Vorsitzende der Hanns Seidel Stiftung, dass der EU gemäß dem Subsidiaritätsprinzip die Zuständigkeit fehle, Gesetzgebung in Schlüsselbereichen vorzuschlagen, die Fragen der nationalen Minderheiten betreffen, zumal es keine Befugnisse im Bildungsbereich, der Sprachpolitik, nationaler Rechtslage oder politischer Vertretung nationaler Minderheiten in den Mitgliedsstaaten gäbe.

Markus Ferber wurde stellvertretend für die Leistungen der Hanns-Seidel-Stiftung seitens des DFDR die Ehrennadel in Gold feierlich überreicht. Die Laudatio hielt der DFDR-Abgeordnete, Ovidiu Gan], der dabei nicht nur die Verdienste des Parlamentariers heraushob, sondern auch Projekte der Hanns Seidel Stiftung zur Förderung der nationalen Minderheiten in Rumänien und besonders der deutschen, die den Nachwuchs fördern oder zur politischen Bildung beitragen.

Im zweiten Panel referierte der DFDR-Landesvorsitzende Dr. Paul-Jürgen Porr über Geschichte und Gegenwart der deutschen Minderheit in Rumänien und der DFDR-Abgeordnete Ovidiu Gan] über die Brückenrolle der deutschen Gemeinschaft in Rumänien, wie diese im Landesinneren, aber auch in der rumänischen Außenpolitik, besonders in den bilateralen Verhältnissen zu Deutschland und den europäischen Strukturen, konkret erfüllt wird, mit dem Hinweis darauf, dass dies auch auf Vertreter anderer Minderheiten im Rumänischen Parlament ähnlich zutreffe. Die freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen der deutschen und der jüdischen Gemeinschaft in Rumänien als Erfolgsmodell präsentierte der Präsident der jüdischen Gemeinschaften in Rumänien, Silviu Vexler, in einer teils sehr persönlichen Note angesichts der dramatischen Ereignisse in Israel, aber auch der freundschaftlichen Verbundenheit zum DFDR-Abgeordneten. Dincer Geafer, Unterstaatssekretär im Departement für interethnische Beziehungen, beschrieb den rechtlichen Rahmen der nationalen Minderheiten in Rumänien und ging dabei in besonderer Weise auf die jüngste Ausrichtung der Volkszählung in Rumänien ein. 

Den Höhepunkt des ersten Tages stellte die Podiumsdiskussion mit den Abgeordneten Markus Ferber und Ovidiu Gan] dar, die sich über Minderheitenpolitik in Europa, das unterschiedliche Verständnis von Minderheitenschutz und –recht austauschten, sowie - aus persönlichen Erfahrungen heraus - Rolle und Aufgabe einer Minderheit in Europa erörterten. Nationale Minderheiten hätten eine Vorbildfunktion für friedliches Zusammenleben und Integration zu erfüllen, wobei das Pflegen ethnischer Identität nicht zur Folkloregruppe verkommen dürfe. Politik zum Minderheitenschutz treibe Demokratisierungsprozesse an.  Mit Bedauern stellte Ferber fest, dass Deutschland hinsichtlich der deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa, überhaupt in seine Kulturarbeit im Ausland in den letzten Jahren, immer weniger finanziell investiere und natürlich auch kaum Minderheiten öffentlich  thematisiere. 

Minderheitenrecht in europäischen Ländern anhand von  Fallstudien, Erfahrungen und Beispielen für beste Praktiken stand am zweiten Tag der Temeswarer Konferenz im Mittelpunkt. Menschen- und Minderheitenrechtsexperte, Professor an der Universität Bukarest Dr. Radu Carp, leitete fachkundig und mit Expertise die drei Panels des Tages. Den legislativen Rahmen des Minderheitenschutzes in der Ukraine beschrieb Dr. Ihor Lossovskyi, der stellvertretende Leiter des ukrainischen Staatsamtes für Ethnien und Gewissensfreiheit, eine zentrale ukrainische Exekutivbehörde, die für ethnische Angelegenheiten, ethnische Minderheiten und interreligiöse Angelegenheiten zuständig ist.  Er präsentierte die kontinuierlichen Bemühungen der letzten Jahre und Wochen, trotz des Krieges Reformen in der Minderheitenpolitik umzusetzen. Die Minderheitenrechtslage in Deutschland mit ihren Stärken und Schwächen stellte umfassend Dr. Bernd Fabritius dar, der zum Schluss besonders auf rechtliche Hürden von länderübergreifenden Normen hinwies. Thomas [indilariu war als Unterstaatssekretär im Departement für Interethnische Beziehungen (DRI) angehalten, die Rechtslage der Minderheiten in Rumänien zu beschreiben, was er anhand von historischen, aber auch gegenwärtigen Beispielen tat. Dr. Fabritius ergänzte in dieser Präsentation, dass die ethnische Quantifizierung abzulehnen sei und die Erhebung im Rahmenabkommen explizit verboten ist. Noch schlimmer sei es, aus der Größe einer Minderheit ein Kriterium der Förderung, ja des Förderumfangs zu machen, zumal bewiesen sei, dass gerade je kleiner eine Minderheit ist, diese um so mehr Förderung nötig hat, um zu überleben. Ludmila Burlaca, Leiterin der Direktion für die Stärkung der interethnischen Beziehungen, schilderte die Situation der nationalen Minderheiten in der Republik Moldau und die Arbeit der Agentur für interethnische Beziehungen, die keine leichte sei, zumal das Land ein Viertel seiner Bevölkerung als nationale Minderheit registriert habe, dies mit über 40 anerkannten ethnischen Gruppen. Die ukrainische Flüchtlingsproblematik sei derzeit jedoch eine große Herausforderung und ressourcenintensiv, während der Erwerb der rumänischen Sprache bei den Minderheiten besonders gefördert werde. Die Situation des Minderheitenrechts in der Slowakei wurde von Ábel Ravasz, Präsident des Mathias Bel Instituts dargelegt, eine Nichtregierungsorganisation, die sich für die politische Unterstützung und Erforschung der Minderheiten einsetzt: 20 Prozent der slowakischen Bevölkerung gehören einer Minderheit an, die Hälfte davon seien Ungarn. In der Slowakei habe man beim jüngsten Zensus eine neue Methodologie umgesetzt, so dass man auch zwei Nationalitäten angeben kann, aber nur eine Muttersprache. Das Mathias Bel Institut setze sich derzeit dafür ein, dass Gesetzgebung mit Auswirkung auf Minderheiten entsprechend verfasst wird.

Die Sicherheitsdimension der Minderheitenproblematik wurde abschließend in einer Podiumsdiskussion mit Forschern aus Rumänien, Ungarn, der Republik Moldau und der Ukraine beleuchtet. Die aktuellen Kriege würden Minderheiten hart treffen, besonders indigene Völker in der Ukraine, wie die Krimtataren, die auf kein Mutterland als Unterstützung bauen können. Wie in Transnistrien unter einem linguistischen Vorwand eine Minderheit das Leben einer Mehrheit diktiert, zeigte Alexandru Postic² auf, Mitglied des Obersten Rates für Magistratur und strategische Planung, während der ungarische Forscher Dr. Atilla Demkó, Leiter des Zentrums für Geopolitik am Mathias Corvinus Kollegium in Budapest, klarmachte, dass alle jüngere Konflikte und Kriege, von England bis Griechenland, mit Minderheiten zu tun hätten, aber auch, dass Minderheiten in internationalen Konflikten instrumentalisiert werden. Die Staaten hätten nicht nur nach einer demokratischen Stabilität zu trachten, sondern auch nach sozialer Kohäsion und interethnischer Versöhnung, hieß es als Schlussfolgerung dieses Panels.

Die abschließenden Bemerkungen und Zusammenfassung der Tagung formulierte der Regionalleiter der Hanns-Seidel-Stiftung für Zentral- und Osteuropa, Benjamin Bobbe: Gelebte Völkerverständigung sei bei der Tagung zum Ausdruck gekommen, aber auch die Notwendigkeit nach einem unterstützenden Rahmen für den Fortbestand von Minderheiten. Dieses Gerüst baue im Kern auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte. Minderheitenrecht sei eine nationale Angelegenheit, die nicht nur als EU-Beitrittskriterium abgehakt werden sollte, sondern implementiert und gelebt werden müsse. Der internationale Dialog zum Minderheitenthema  müsse gefördert  werden, weshalb man als Stiftung ähnliche Veranstaltungen in Aussicht stelle.

Sursa: https://adz.ro/artikel/aktuell/artikel/minderheiten-leben-mehr-europa

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