Bei einem Festgelage soll ein Schüler Schopenhauer gefragt haben, wie seine pessimistische philosophische Haltung mit seiner an den Tag gelegten Lebensfreude zu vereinbaren sei. „Ein Philosoph ist ein Wegweiser. Hast du schon mal einen Wegweiser gesehen, der den Weg geht, auf den er zeigt?“ kam die Antwort.
Anfang des Jahres schrieb ich einen Beitrag, in welchem die wichtigsten Rockevents des Jahres vorgestellt wurden („Never Too Old for Rock´N´Roll. Ausblick auf den Rock-Sommer 2023 in Rumänien“, 15. April 2023). Da ich mehr als ein Wegweiser sein wollte, hab ich mich auf den Weg gemacht. Das Folgende ist eine Wiedergabe der persönlichen Erlebnisse auf zwei Festivals – ARTmania und Rockstadt Extreme Fest –, bestimmt durch gewisse Vorerfahrungen, persönlichen Musikvorlieben und daher keine unvoreingenommene Qualitätsanalyse.
„ARTmania“, das Boutique Festival
Codruța Vulcu, Gründerin von „ARTmania“, erklärte in einem Interview: „ARTmania hat seine Marke irgendwie um den Großen Ring herum aufgebaut. (...) wir haben uns entschieden, auf dem Niveau einer Boutique-Veranstaltung zu bleiben, maximal 7500 Menschen pro Abend.“
Das Festival, welches sich einen Namen mit Symphonic-, Gothic- und manchmal Blackmetal machte, hat sich zu einer Referenz des Progressive Rocks entwickelt.
Für alle Kartenzahler war es klar, dass die drei Tage des Festivals unter dem Zeichen von „Porcupine Tree“ stehen würden, doch es sollten sowohl Überraschungen, wie auch so manche Enttäuschung dabei sein.
Die kleine Bühne bot, was man erwartet hat: „kleine“ Bands auf dem Weg zum Ruhm. Die Auftritte von „W3 4R3 NU83R5“ und „Roadkill Soda“ waren diejenigen, die den Großen Ring zum Moshpit verwandelt haben. Die Enttäuschungen: „Asemic“ (Potenzial ist zu erkennen, doch es braucht noch viel Arbeit) und „Sirenia“ (die Leistung der Ersatzsängerin bot die Erklärung, warum eine so bekannte Band auf der kleinen Bühne auftrat). Die Überraschung: „KoiKoi“ aus Serbien... ohne ein Wort auf Englisch haben sie unter Beweis gestellt, dass Rock ein Gefühl und dadurch eine Sprache ist.
Werfen wir nun einen Blick auf die Bands auf der großen Bühne: Den Abschluss des erstens Abends lieferte „Emperor“. Ohne auf die Geschichte und die Bedeutung der Band einzugehen, sie sind und bleiben die „Väter“ des Blackmetals, haben die „alten“ Nordern doch das geliefert, was erwartet wurde. Klassisch. Gut. Bekannt. Eher zu beachten am gleichem Tag waren die Schweizer von „Samael“. Kein bahnbrechender, aber ehrlicher, Industrial-Rock… mit einem Live-Drummer könnte man sicher an Qualität gewinnen.
Wenn ich nach einem Festival nicht wenigstens eine Band meiner persönlichen Playlist hinzufüge, hat es mir nicht wirklich etwas gebracht. Bei „ARTmania 2023“ war das „Vulture Industries“. Eine mir unbekannte Band aus Norwegen, die durch ihren dynamischen Auftritt einen Mix zwischen klassischem Led Zeppelin, modernem Powermetal, mit gut durchdachten und abgestimmten Progressive-Rock-Einlagen schafft. Die eher ungewöhnlich klingenden Stimme Bjřrnar Erevik Nilsens bescherte dem Abend eine unerwartete Bereicherung. „Tessaract“, obwohl sie die junge Generation vor die Bühne brachten, waren „nur“ der Übergang zu „Porcupine Tree“. Über „Porcupine Tree“ müsste man eigentlich nicht mehr sehr viel schreiben: auf den Punkt genau gespielter Progressive Rock vom feinsten. Steve Wilsons Bühnenerfahrung zeigte sich in seiner offenen Art in der Interaktion mit dem Publikum, aber auch bei einem Textaussetzer, wo er sich von einem Bandkollegen, den Text vorsagen ließ. Die meisten gespielten Lieder stammten vom neuen Album „Closure/Continuation“, doch fehlten Klassiker der älteren Alben nicht im Programm. Für wen die Band eine Unbekannte ist, der sollte mal das Lied „Anesthetize“ hören und man wird verstehen, warum „Porcupine Tree“ zu den Größen der zeitgenössischen Musik gehört.
Dem Programm des dritten Tages stand der immer wieder fallende Regen nicht im Weg. „Wardruna“, die Headliner des Tages, hatten für die Anwesenheit einer weiterhin großen Zuschauerschaft gesorgt. Auch wenn für so manchen die Band inzwischen zu sehr in die nordisch-wikingische Folklore eingestiegen ist und die Rockkomponente ihrer Musik vernachlässigt, war ihr Auftritt qualitativ gut.
„ARTmania“ bleibt mehr als ein Rockfestival. Das Konzept der Organisatoren versucht, eine komplette Erfahrung anzubieten. 2023 durch die Zusammenarbeit mit der ASTRA-Bibliothek und dem ASTRA-Museum, wurde mittels Vorträgen, Filmvorführungen und Workshops am Huet-Platz, den Interessierten ein Einstieg in die Kultur der Wikinger angeboten.
Fazit: „ARTmania“ bleibt das, was Codru]a Vulcu ein „Boutique“-Festival für die ganze Familie nennt. Daher gehört es weiterhin auf den Großen Ring. Zu den Minuspunkten muss man doch die etwas hohen Preise für Bier, Wasser und Essen zählen. Zugleich muss bemerkt werden, dass dieses Boutique-Konzept bei so manchem Rocker als zu posh ankommen könnte, wie ein Rock-Festival für Hipster... ein Gefühl, verstärkt von der Tatsache, dass man in den drei Tagen vielleicht ein wenig zu tief in die Tasche greifen muss.
„Rockstadt Extreme Fest“: die große Liga
Fünf Tage härtester Rock. Drei Bühnen. 70 Bands. 12 Stunden Konzerte pro Tag. „Rockstadt Extreme Fest“ versprach ein Parforceritt zu werden – und es wurde einer. Schon am ersten Tag nahm eine Flut schwarzer T-Shirts, Jeans, Lederhosen und -röcke die Straßen der burzenländischen Kleinstadt Rosenau/Râșnov ein. Diese bewegte sich kreuz und quer durch die Straßen, wobei der Hauptstrom durchgehend in Richtung des Parkplatzes unterhalb der Burg drängte.
Auf dem waldumgebenen Platz standen die drei Bühnen: die kleine Bühne (in einem Zelt, was nicht unbedingt die beste Idee war, da die Luft bei jedem Auftritt schnell sehr stickig wurde) und die beiden großen Freilichtbühnen. An dem Food-Court vorbei war der offene Platz der Staudamm, der mit den beiden großen Bühnen die Flut stoppte. Ein erstes Bier in der Hand (hier müssen unbedingt als Pluspunkt die normalen Preise für Getränke und Verpflegung erwähnt werden. Man findet in so gut wie keiner größeren Stadt Rumäniens Preise, die da mithalten könnten), hält man Ausschau nach Bekannten. Zwischen den 17.000-20.000 Anwesenden pro Tag ist es so gut wie unmöglich, nicht wenigstens ein bekanntes Gesicht anzutreffen.
Das Programm bot für jeden etwas. Zugleich waren da Namen, die niemand verpassen wollte: „Soulfly“, „Phil Campbell and the Bastard Sons“, „Architects“, „Marduk“, „Meshuggah“, „In Flames“, „Obituary“, „Avatar“, „Dying Fetus“, „Arch Enemy“, „I Am Morbid“ usw.
Die Enttäuschung: „Deicide“ konnten nicht mehr auftreten, da die Fluggesellschaft ihre gesamte Ausstattung unterwegs „verloren“ hatte.
Obwohl es schwer fällt, sich zu entscheiden, welche Einzelauftritte hier kurz erwähnt werden sollten, lassen Sie mich nach dem gleichen Muster vorgehen und subjektiv manche Höhepunkte hervorheben.
Old School Rock ist bei „Rockstadt Extreme Fest“ eher eine Seltenheit, darum sollten „Phil Campbell and the Bastard Sons“ nicht unerwähnt bleiben. Gegründet von Phil Campbell (Ex-Gitarrist von „Motörhead“) nach dem Tod von Lemmy Kilminster, könnte man die Band eher als eine Tribut- oder Coverband betrachten, da sie nur Lieder von „Motörhead“ spielen. Kein einziger Auftritt in diesem Jahr hat das Publikum so generationsübergreifend in seinen Bann gezogen. Man kann die Veranstalter nur beglückwünschen, dass sie doch immer wieder außerhalb der eigenen Grenzen denken und handeln.
Old School vom feinsten, aber diesmal Death Metal, boten die „alten Herren“ von „I Am Morbid“ und „Obituary“. Zwar ist ihr innovativer Geist, welcher sie Ende der 1980er Jahre berühmt machte, nicht mehr zu spüren, aber ihr Sound ist inzwischen so klassisch, dass eine forcierte Erneuerung fehl am Platz wäre. Man weiß, was man an den Bands hat, was man erwarten soll und dieses wird einem auch auf dem höchsten Niveau angeboten. Ein Beweis dafür: vor den Bühnen standen hauptsächlich Teenager, die die Bands wahrscheinlich mittels ihrer Eltern entdeckt hatten, und diese kannten die Texte der Lieder auswendig.
Ein besonderer Auftritt bleibt die Performance von „Avatar“. Die theatralische Inszenierung des Leadsängers Johannes Eckerström reißt jeden in seinen Bann. Dazu kommen die ungewöhnlichen Verbindungen von melodischen Parts, die an unterschiedlichste Musikgattungen erinnern (z. B. Country bei „Dance Devil Dance“), die sich auf natürliche Weise mit der Härte von Industrial- und Death Metal verbinden.
Und natürlich „Arch Enemy“ mit der „kleinen“ Alissa White-Gluz, die mit ihrer Kraftstimme und ungezähmten Energie jede Bühne zu klein erscheinen lässt. Vielleicht hätten sie den krönenden Abschluss des Festivals liefern sollen, denn die darauffolgenden „Alestorm“ mit ihrem Shanty-Rock fühlten sich danach irgendwie fehl am Platz an.
Fazit: „Rockstadt Extreme Fest“ bleibt weiterhin die Rockerfahrung im Jahresablauf in Rumänien. Zu bemerken ist die einwandfreie Organisation. Beispielhaft die Sicherheitsleute, denen man die Erfahrung mit Rockfestivals, Moshpits und Crowd-Surfing anspürt. Vielleicht wäre, obwohl bei den vorhandenen Möglichkeiten vor Ort schwer vorstellbar, eine echte Entspannungszone anzudenken. Zu wünschen wäre auch, dass Rockstadt erneut eine Plattform für einheimische Bands wird, die in diesem Jahr fast komplett im Programm gefehlt haben. Erhalten sollte auf jeden Fall die „Seahawk 2“ bleiben: das Gummiboot, welches schon seit 2022 von den Teilnehmern auf Händen getragen wird und über den Köpfen segelnd für fünf Tage jedes Jahr sich dem Kentern widersetzt.
„Seahawk 2“ und die Boutique
Sursa: https://adz.ro/artikel/aktuell/artikel/seahawk-2-und-die-boutique
Declinarea răspunderii !!!
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