Dr. Hella Gerber wurde in Nitzkydorf geboren. Sie hat die deutschsprachige „Nikolaus Lenau“-Schule absolviert und lebt seit Mitte der 80er Jahre in Deutschland. Als Nephrologin und Fachärztin für Innere Medizin setzt sich Dr. Hella Gerber auch anders für ihre aktuelle und ehemalige Gemeinschaft ein. Seit mehreren Jahren ist die Rumäniendeutsche Vorsitzende des Kreisverbands Banater Schwaben Augsburg, Vorsitzende der Heimatortsgemeinschaft Nitzkydorf der Landsmannschaft der Banater Schwaben e.V., Vorstandsmitglied im BdV (Bund der Vertriebenen), Kreisverband Augsburg Stadt, Vorstandsmitglied im BdV-Bezirksverband Schwaben, Vorstandsmitglied OV-CSU Kriegshaber, Vorstandsmitglied Frauenunion Bezirksverband Augsburg, Mitglied im Bezirksvorstand ASP Augsburg - Außen- und Sicherheitspolitischer Arbeitskreis in der CSU, Vorstandsmitglied im Hilfswerk der Banater Schwaben e.V. Seit wenigen Jahren ist sie nun auch Stadträtin in Augsburg seitens der CSU und versucht somit das Kulturerbe der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler für die Zukunft zu erhalten. Dies ermöglicht die Bewahrung von Identität und hilft Brücken zu bauen – sagt sie. Das Erhalten des Kulturerbes der Banater Schwaben bleibt für Hella Gerber nach wie vor Priorität. Wie sie sich das weiterhin vornimmt und was das Jahr 2023 mit Temeswar/Timișoara als eine der europäischen Kulturhauptstädte für die ausgewanderten Rumäniendeutschen bedeutet, aber auch über weitere Pläne und Projekte hat ADZRedakteurin Andreea Oance mit der engagierten Banater Schwäbin gesprochen.
Sie haben die Lenau-Schule absolviert. 2023 wurde eine große Jubiläumsfeier anlässlich 150 Jahren Bestehen der Schule in Temeswar organisiert. Das Ereignis zog wie ein Magnet ehemalige LenauSchüler in ihre Heimatstadt, die 2023 auch Europäische Kulturhauptstadt ist. Sie waren auch dabei. Wie war es für Sie?
Die Lenau-Schule war und ist eine besondere Schule, eigentlich mehr als eine Schule. Hier haben wir viel gelernt, auch fürs Leben. Unser „Boss“, Direktor Erich Pfaff, legte viel Wert auf Allgemeinbildung, er meinte „Fachidioten werdet ihr noch rechtzeitig“. Es entstanden Freundschaften fürs Leben. Als mein Sohn in Deutschland, in Augsburg, auf ein Gymnasium sollte, und wir, die Familie, mehre Schulen besuchten, habe ich instinktiv immer einen Vergleich mit meinem Lenau-Lyzeum angestellt. Und ich muss sagen, es hielten nicht viele Gymnasien dem Vergleich stand. Die 150(+3)-Jahr-Feier war wunderbar, rührend, mit einem freudigen Wiedersehen. Eine würdige Feier! Gerne bin ich auch im Vorstand der Freunde der LenauSchule und bleibe der Schule ein Leben lang in Dankbarkeit verbunden. Bildung ist der Schlüssel für Alles!
In diesem Jahr wurde der 300. Jahrestag des Beginns der Besiedlung des Banats durch Deutsche begangen. Dieses Ereignis lockte mehr als tausend Banater Schwaben nach Temeswar. Das Jahr der Kulturhauptstadt zieht aber auch viele andere Deutschstämmige an, die vor vielen Jahren aus Rumänien ausgewandert sind und zum Teil seit Jahrzehnten nicht mehr in die Stadt an der Bega oder in die Region zurückgekehrt sind. Was bringt sie dazu, jetzt wiederzukommen? Was macht sie stolz, aus dieser Gegend zu stammen und wie werben sie in den Orten und Ländern, in denen sie jetzt leben, für „Timișoara 2023“?
Viel wurde im Vorfeld darüber berichtet. Schöne Erinnerungen wurden geweckt. Begeisterung ist ansteckend. Begegnungen sind wertvoll. Ich war dieses Jahr dreimal im Banat, in der Kulturhaupstadt Temeswar: Im Mai beim Jubiläum der Lenau-Schule, im Juni bei den Kultur- und Heimattagen der Banater Deutschen und im August mit unserer HOG-Nitzkydorf. Ich komme immer wieder gerne. Viele für mein Leben wichtige Jahre habe ich in Temeswar gelebt - ein Drittel meiner Banater Zeit. Als Lenau-Internatlerin war ich am Domplatz, mein Lieblingsplatz in Temeswar, zu Hause und die Domkirche wurde für mich zu meiner Temeswarer Kirche. Temeswar und Nitzkydorf waren für mich das Maß aller Dinge für Kindheit, Bildung, Jugend, Studium.
2023 wurden auch von Neuem zahlreiche Kirchweihfeste im Banat organisiert - nach vielen Jahren Pause. Was hat es denn dazu gebracht? War die Kulturhauptstadt Temeswar dafür Entscheidungsfaktor?
Teilweise ja. Auch in den letzten Jahren wurden schon viele Kirchweihfeste organisiert. Es wurden Strukturen geschaffen. Tanzgruppen wurden in mehreren ehemaligen Banatschwäbischen Gemeinden gegründet. So entstand in Nitzkydorf 2018 die „Tanzgruppe Kornblumen“ auf Initiative der HOG Nitzkydorf in Zusammenarbeit mit der Gemeinde, dem Bürgermeisteramt und dem DFDR Banat, die seit mehreren Jahren erfolgreich von Tanzlehrer Hansi Müller geleitet wird. Der Nitzkydorfer Bürgermeister Dănuț Drăghici ist immer vorne mit dabei. Das trifft auch auf andere Banatschwäbische Gemeinden zu. Die Werte Europas werden hier gelebt. Die Besinnung auf das kulturelle Erbe der Banater Schwaben tut gut. Beidseitige Wertschätzung ist zu spüren. Temeswar, Kulturhauptstadt Europas 2023, macht uns stolz.
Sie vertreten in Augsburg nicht nur die deutsche Minderheit aus Rumänien, die der Banater Schwaben, sondern auch das Banat und die Stadt Temeswar im Allgemeinen. Wozu verpflichtet Sie das?
Wichtig sind Erhalt, Bekanntmachung und Weitergabe des kulturellen Erbes der Banater. In Augsburg kennt und schätzt man die Banater Schwaben. Wir, der Kreisverband Banater Schwaben Augsburg, stellten 2023 einige Mal Temeswar als Kulturhauptstadt Europas 2023 in den Mittelpunkt unserer Veranstaltungen: beim Europatag auf dem Rathausplatz – bei unserem Stand mit Plakaten, Infomaterial, kulinarischen Banater Köstlichkeiten, den Auftritten der Tanzgruppen der Banater Schwaben sowie in meiner Rede auf der Bühne auf dem Rathausplatz mit Einladung nach Temeswar, dem Vortrag in den Europawochen – Halrun Reinholz referierte „Temeswar/Timișoara: Europäische Kulturhauptstadt 2023 – multikulturell und lebendig. Ein Streifzug durch Vergangenheit und Gegenwart“ – und beim Kulturtag der Banater Schwaben im Haus Sankt Ulrich – eine Ausstellung und Präsentation zur Kulturhauptstadt von Halrun Reinholz und zum krönenden Abschluss „Klänge einer Stadt“, ein Konzert mit Dr. Franz Metz und seinen Musikern. Dabei waren viele Ehrengäste aus der Politik und viele Gäste. Ein breites Publikum wurde angesprochen.
Sie sind seit einigen Jahren auch Stadträtin in Augsburg, was hat Sie dazu bewogen?
Ich wurde gefragt, ob ich es mir vorstellen könnte. Und ich habe Ja gesagt. Meine Erfahrungen als Ärztin sowie als Spätaussiedlerin kann ich einbringen, mich für die Menschen einsetzen und Kommunalpolitik mitgestalten. So findet 2024 erstmals ein Fachtag der Landsmannschaften, der deutschen Heimatvertriebenen, mit anschließendem Empfang im Goldenen Saal im Augsburger Rathaus statt und danach vorerst regelmäßig im Zweijahresrhythmus, mit Möglichkeit zur Verstetigung. Nitzkydorf ist vielleicht der bekannteste Name eines rumänischen Dorfes in Deutschland. Das hat man der Nobelpreisträgerin Herta Müller zu verdanken – die Schriftstellerin wurde dort geboren, hat dort die Schule besucht und erwähnt die Ortschaft in ihren Büchern. Wie sehen Sie Ihre Herausforderung, das Image von Nitzkydorf auch abgesehen von der Nobelpreisträgerin zu fördern? Ja, Nitzkydorf ist bekannt, Geburtsort einer Nobelpreisträgerin! Ich werde nicht müde, das immer wieder zu betonen. Es gibt auch einen zweiten bekannten Nitzkydorfer Schriftsteller, Balthasar Waitz, der in seinen Büchern aktuell über Nitzkydorfer Geschichten berichtet. In der Schule trägt die Schulbibliothek seinen Namen. Nitzkydorf hat auch bekannte Geistliche hervorgebracht: Die drei Kräuters – Msgr. Sebastian Kräuter (†), Bischof zu Temeswar, Msgr. Dr. theol. Franz Kräuter (†), Priester, Dr. phil. Franz Kräuter, (†) Abgeordneter. Es gibt viele Fußspuren, denen viele und oft folgen können. In Augsburg kennt man das Banat mit der Kulturhauptstadt Temeswar, aber auch Nitzkydorf. Ich berichte gerne, wiederholt, begeistert. Der Auftritt unserer Vereine – KV und HOGs – gibt ein gutes Bild ab. Bei einem Empfang im Rathaus meinte liebevoll ein Stadtratskollege: „Die heimliche Hauptstadt des Banats ist Nitzkydorf.“
Wie kann man die Stadt Temeswar und das Banat für Deutsche, die keinen Bezug zu Rumänien haben, fördern? Warum sind diese Orte sehenswert?
Gastfreundschaft wird im Banat, in Temeswar, großgeschrieben. Man fühlt sich hier wohl. Temeswar hat viel zu bieten, historisch und kulturell. Es ist schön - multiethnisch, multikulturell, europäisch, in Frieden. Aber auch die Wirtschaft ist wichtig, es gibt viele deutsche Niederlassungen. Eine gute Zusammenarbeit, auch im kulturellen Bereich, bringt viel.
Was für Pläne haben Sie noch?
Im Moment schreibe ich am Weihnachtsbrief der HOG Nitzkydorf, im Inhalt nehme ich auch Bezug zu unseren zahlreichen Aktivitäten 2023. Für eine Broschüre – wir hätten sehr viel Material – reichte leider die Zeit nicht. Das bisher Erreichte fortführen - banatschwäbische Kulturtage mit Symposium, Konzert und Kirchweih. Gedenktage, wie Allerheiligen mit 500 Kerzen für die Ahnengräber, regelmäßig begehen und Erinnerungen wachhalten. Die Nitzkydorfer römisch-katholische Kirche wird nächstes Jahr 200 Jahre, die Gemeinde feiert 2025 den 240. Geburtstag und 100 Jahre seit Einweihung des Kriegerdenkmals. Die Etablierung eines deutschen Sprach- und Kulturkurses in Nitzkydorf wird angestrebt. Strukturen wurden geschaffen, der Bürgermeister der Gemeinde konnte eine promovierte Deutschlehrerin dafür gewinnen. Die finanzielle Förderung dafür steht noch aus. Für das Erreichte bin ich dankbar. Zusammenarbeit, Begegnungen, Begeisterung der Jugend, Näherbringen der Geschichte, Bewahren des kulturellen Erbes sind auch Wege für die Zukunft. Schön wäre es, wenn ein Austausch-Programm – z.B. mit Jugendgruppen - unter Teilnahme der Stadtgesellschaft Augsburg zustande kommen könnte.