Zwei Schwestern

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In der Zwischenkriegszeit sind in Rumänien fast gleichzeitig zwei bedeutende deutsche Operetten entstanden, die inhaltlich viele Gemeinsamkeiten aufweisen: Richard Oschanitzky (1901-1971) schrieb seine siebenbürgische Operette „Mädel aus dem Kokeltal“ und der Banater Komponist Emmerich Bartzer (1895-1961) seine Operette „Grüßt mein Banat“. Beide Komponisten stellten meisterhaft ihre Heimat in den Mittelpunkt, mit all ihren Menschen, ihren Liedern und ihrer Geschichte. Durch diese beiden inhaltlich unpolitischen Werke sollte die Heimat der Banater Schwaben und der Siebenbürger Sachsen auch im Ausland vorteilhaft präsentiert werden. 

Die deutschen Bühnen in Temeswar und Hermannstadt/Sibiu führten damals neben den gängigen Werken der goldenen und der silbernen Operettenära auch Werke aus der engeren Heimat auf. So erklangen in Hermannstadt z. B. Berta Bocks Volksoper „Die Pfingstkrone“, wie auch Fritz Schullers Operette „Das ferne Land“. Im Banat gab es in Temeswar, Reschitza, Hatzfeld/Jimbolia und selbst in Steierdorf/Anina regelmäßig Operettenaufführungen, teils mit Interpreten aus Wien oder Berlin, die z.B. Lehárs Werke aus der Taufe gehoben haben. Diese Aufführungen wurden von den örtlichen Gesangvereinen und Instrumentalensembles organisiert, die größtenteils aus Laienmusikern bestanden.

Doch keines dieser Werke konnte die Erfolge der Operette von Oschanitzky „Mädel aus dem Kokeltal“ übertreffen und kein anderes siebenbürgisches oder Banater Werk wurde so oft im In- und Ausland aufgeführt.

Das Libretto

Annie Schmidt-Endres (1903-1977) verfasste für Emmerich Bartzer das Li-bretto der Operette „Grüßt mein Banat“. Sie galt damals als eine begabte Schriftstellerin, stammte aus Lenauheim und kannte aus eigener Erfahrung die Eigenheiten ihrer schwäbischen Landsleute. Sie selbst verfasste auch mehrere volkstümliche Lieder, die im Druck erschienen sind, Erzählungen, Novellen, Gedichte, usw. Auch Daniel Wersching (1908-1995) wird als Librettist an ihrer Seite noch genannt. 

Das Libretto der Operette „Mädel aus dem Kokeltal“ stammt von Hans Kelling, eigentlich der Künstlername von Josef Oschanitzky, einem Bruder des Komponisten. Dieser war als Redakteur in Bukarest tätig und hinterließ u. a. ein unveröffentlichtes fünfbändiges Werk über den Sprachkampf in Siebenbürgen um Stefan Ludwig Roth. 

Es wäre interessant zu wissen, ob sich die Schöpfer der beiden Libretti auch persönlich kannten, oder ob sie eine Vorlage von einer Stelle erhielten. Zu viele Ähnlichkeiten sind in beiden Handlungen zu entdecken. 

Die Handlung der Operette „Mädel aus dem Kokeltal“ spielt im ersten Teil in einem siebenbürgischen Städtchen, im zweiten Teil in Berlin und zum Schluss wieder in Siebenbürgen. Eigentlich wäre Wien als Handlungsort des zweiten Aktes vorgesehen gewesen, aber letztendlich entschied man sich für die deutsche Reichshauptstadt. 

Die Operette Bartzers „Grüßt mein Banat“ spielt im ersten Akt in einem schwäbischen Dorf, im zweiten in Wien und im dritten Akt wieder auf dem Hof des schwäbischen Bauern Hansinger. Wir erfahren in beiden Operetten vieles aus der Geschichte der Siebenbürger Sachsen oder der Banater Schwaben, es wirken Trachtengruppen, Kirchweihpaare, Gesangvereine, Kirchenchöre und Blaskapellen mit, was das Szenenbild äußerst üppig und bunt macht. Dazu kommen die von den Autoren vorgeschriebenen Kulissenbilder mit schwäbischen Giebelhäusern, Kirchen, Wiesen und Feldern. 

Die Kinderlandverschickung

Selbst in der Wahl der Personen kommen sich beide Libretti sehr nahe. So gibt es in beiden Fällen jeweils ein Ferienkind aus Deutschland und Österreich: in der einen ist es Thea aus Berlin, in der Banater Operette aber Mitzi Scharnitz, ein Wiener Kind, das seine Ferien in einem schwäbischen Dorf verbringt. Das Thema der so genannten „Kinderlandverschickung“ wird also in beiden Operetten thematisiert. 

In den zwanziger Jahren berichteten viele Banater Zeitungen über jene Sonderzüge, die im Banat aus Wien angekommen sind mit Kindern aus dem Deutschen Reich und aus Österreich. Diese verbrachten einige Sommermonate bei deutschen Familien, wo sie keine Hungersnot mehr wie zu Hause erleiden mussten. Örtliche Banater Vereine spendeten dafür beträchtliche Summen, Gesangvereine gaben dafür Benefizkonzerte und Kirchengemeinden beteiligten sich ebenfalls an diesen Aktionen. So gab z. B. der Steierdorfer Männergesangverein im Februar 1924 ein großes Benefizkonzert „zugunsten der hungernden deutschen Kinder.“ So ist es verständlich, dass dadurch Freundschaften entstanden sind, wie es auch in unseren beiden Operetten geschehen ist. 

Vom Erfolg in die Vergessenheit

Anscheinend sind beide Operetten fast gleichzeitig entstanden. In einem Brief soll Annie Schmidt-Endres sogar Emmerich Bartzer zur Eile aufgefordert haben, da Richard Oschanitzky mit seiner Operette fast fertig wäre. Und so geschah es auch. Im Januar 1938 fand in Hermannstadt die Premiere des „Mädels aus dem Kokeltal“ statt, gefolgt von zahlreichen Aufführungen in ganz Siebenbürgen und als Krönung: eine große Tournee 1939 mit über 100 Vorstellungen in Österreich und in Deutschland, darunter Bühnen in Wien, Stuttgart, Leipzig, usw. 

Natürlich stand im Mittelpunkt dieser Deutschlandtournee auch der kulturpolitische Aspekt der damaligen Zeit. So berichtete eine Stuttgarter Tageszeitung über den Empfang der „volksdeutschen Brüder aus Siebenbürgen“ beim Oberbürgermeister der „Stadt der Auslandsdeutschen“, also in Stuttgart. Jede der 15 Aufführungen in Stuttgart war „Gegenstand stürmischer Kundgebungen für ihre im siebenbürgischen Volkstum wurzelnde Kunst“. Was so euphorisch begann, geriet aber durch den Krieg und die Zeit danach in Vergessenheit. Erst 2014 wurden im Rahmen eines Konzertes der Gesellschaft für deutsche Musikkultur im südöstlichen Europa (29. Musikwoche) die wichtigsten Teile der Operette in Heilbronn, in Anwesenheit des Sohnes des Komponisten, des Dirigenten Peter Oschanitzky, aufgeführt. 

Ein ganz anderes Schicksal erlebte aber die Banater Operette. Emmerich Bartzer soll das Aufführungsmaterial samt Partitur nach Wien geschickt haben, damit es dort aufgeführt werde. Nach der Überprüfung durch eine Kommission soll aber wegen der religiösen Einleitungsszene (Dankgebet, Erntedank) eine Erstaufführung nicht mehr stattgefunden haben. Es kann aber auch der Beginn des Zweiten Weltkriegs eine Rolle gespielt haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte aus politischen Gründen an eine Wiederaufnahme dieses Projektes im Banat nicht mehr gedacht werden. Sie geriet so in Vergessenheit. Erst im Jahre 1996 wurden in konzertanter Form im Ulmer Kornhaus einige Teile dieser Operette durch den Schubertchor, das Banater Kammerorchester und einigen Solisten aufgeführt. Da die Generalpartitur (außer dem Eingangsteil) verloren ging, wurden einige Teile von Richard Bartzer (1926-1998) für ein kleineres Ensemble neu orchestriert. Dafür standen uns erhaltene Orchesterwerke Emmerich Bartzers zur Verfügung, wie die Ouvertüre zur Operette „Die Wildtaube“ und sein „Intermezzo“ für großes symphonisches Orchester. Bartzer war ein Meister der Orchestration und verwendet in seinen symphonischen Werken neben mehreren Schlaginstrumenten auch neuere Instrumente, wie z.B. das Saxophon. 

Emmerich Bartzer komponierte bereits im Jahre 1930 seinen Ländler „Im Banat“, dazu verfasste Annie Schmidt-Endres den Text. Dieses Werk bearbeitete er auch für Blasorchester, die Klavierausgabe erschien 1930 im Lovriner Selbstverlag des Komponisten. Es ist deshalb anzunehmen, dass er sich bereits damals mit einem Banater Operettenprojekt beschäftigt hat.

Die Wiederbelebung dieses Operettenprojektes wurde erst im Frühjahr 2023 durch den jungen Dirigenten Andreas Schein aus Temeswar ermöglicht (siehe ADZ, 14. November 2023: Einzige Operette zum Thema Banat feierte Uraufführung. Interview mit Andreas Schein, dem Dirigenten von Emmerich Bartzers „Grüßt mein Banat!“ ), der anhand des Klavierauszuges aus dem Besitz des Südosteuropäischen Musikarchivs München eine ganz neue Orchestrierung des gesamten Werkes vorgenommen hat. Und diese Erstaufführung fand am 28. Oktober 2023 im Rahmen eines Benefizkonzertes an der Temeswarer Oper statt.

Das Original und seine Varianten

Erstaunlich, was man aus einer Operette alles machen kann. Wenn man bei Werken der Klassik stets bestrebt ist, die Authentizität zu bewahren und den Gedanken des Komponisten zu folgen, so werden die meisten Operettenaufführungen in vielen Fällen bis zur Unkenntlichkeit geändert: es werden Teile gestrichen, umkomponiert, Texte verändert oder Orte der Handlung ganz einfach verlegt. So ist es bekannt, dass z. B. die meisten Operetten der Reschitzaer deutschen Operettengruppe vom Kapellmeister selbst nach dem Klavierauszug neu orchestriert wurden. So konnte man am besten die einzelnen Teile der Operette dem künstlerischen Niveau und den musikalischen Möglichkeiten der Interpreten anpassen. 

Die Operette Emmerich Bartzers ist gleichzeitig eine Reverenz vor dem schwäbischen Dialekt. Viele Dialoge sind in schwäbischer Mundart verfasst, mit spitzigen Pointen versehen und mit bekannten Redewendungen, die speziell einem Publikum gewidmet sind, die diese Sprache auch versteht. Selbst eine Übersetzung ins Hochdeutsche würde viel vom gewünschten Effekt abstumpfen. Ähnlich ist es auch mit den siebenbürgisch-sächsischen Dialogen in der Operette von Oschanitzky.

Eine ähnliche Situation finden wir auch in der Übertragung des deutschen Textes in eine andere Sprache. Da der Text mit den auf der Bühne präsentierten Musikgattungen (Walzer, Ländler, Märsche, Volkslieder etc.) eng verbunden ist, käme es auch in diesem Fall zu falschen Trugschlüssen. Wenn dazu auch noch die Volkstrachten geändert werden, geht der Bezug zwischen Musik und Bühnenbild fast gänzlich verloren. Dabei gibt es einen großen Unterschied zwischen den bekannten Operetten der Weltliteratur und diesen beiden „volkstümlichen“ Operetten aus Siebenbürgen und aus dem Banat. 

Und noch etwas Gemeinsames ist in beiden Werken festzustellen: der Bezug zur jeweiligen kirchenmusikalischen Tradition. Als sich Thea in der Operette „Mädel aus dem Kokeltal“ zurückerinnert an ihren ersten Besuch in Siebenbürgen, erklingt im Hintergrund das vom Chor gesungene Volkslied „Af deser Jerd“, das bis heute fast jeder Siebenbürger Sachse kennt. Oschanitzky sagte darüber: „Ich habe nur ein originalsiebenbürgisches Volkslied verwendet, und zwar ‘Af deser Jerd do äs en Land’. Die musikalische Grundlage der Sachsen ist der Choral. Unsere ganze innere musikalische Einstellung geht von ihm aus, ebenso wie unser Leben sich auf die Kirche stützt und so habe ich viele Chöre aus dieser Stimmung heraus für mein ‘Mädel aus dem Kokeltal’ geschrieben…“ Dieses Lied ist eigentlich eine volkstümliche Komposition von Hermann Kirchner und wurde von Arthur Stubbe für eine Singstimme und Klavier bearbeitet.

In der Operette „Grüßt mein Banat“ ist es das katholische Kirchenlied, dem gleich zu Beginn ein Denkmal gesetzt wird, wenn nach dem „Vater unser“ der Großmagd gleich der Chor mit einem Dankhymnus einsetzt: 

„Tennmann: spuckt in die Hände, ergreift die Sense. Jetzt tun m’r noch de letschte Schwung, andächtig die letschte Ähr, de letschte Halm muss falle. So – fertich for des Johr. Bret is unterm Dach, gelobt sei Jesus Christus, entblöst sein Haupt 

Alle: entblöst das Haupt in Ewigkeit. Glockengeläut vom Weiten 

Tennmann: Amen! Tennmann stützt sich auf die Sense 

Großmagd: mit gefalteten Händen andachtsvoll Vater unser... gib uns heut unser tägliches Brot... Der Dankeschor setzt ein, Abenddämmerung, alles steht mit seinem Arbeitsgerät andachtsvoll.“

Doch im Zentrum der Operette Bartzers steht „sein“ Banat, seine Heimat. Dieser Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Werk, vom Anfang bis zum Fall des letzten Vorhangs. Auch wenn die letzten Verse des Chores der Gäste dem neuen Brautpaar „Heil, Heil, Heil“ – im Sinne der damaligen Zeit – singen, so deklamiert das Wiener Mädchen: „Nicht an mir lag’s. Euer Land hat es mir angetan – Unser Banat – Wer einmal im Banat war, der kann es nie vergessen. Den zieht es immer wieder her zurück. Es ist ein Zauber, eine Macht, die ich nicht erklären kann. (…)

Bin weit gereist durch Land und Meer, 
Fand kein Banat, kein zweites mehr,
Wo überall ich steig an Land, 
Winkt mir nur der Bega Strand. 
Bald winkt das Dorf, bald winkt die Au, 
Und sehnsuchtsvoll gen‘ Ost ich schau. 
Grüßt mein Banat viel tausendmal
Grüßet die Dörfer und Auen, 
Die weiten Fluren ohne Zahl... 

Annie Schmidt-Endres änderte einige Verse der Hauptmelodie ihrer Operette, nachdem sie sich in Deutschland niedergelassen hatte. Das handschriftliche Blatt, das sich in ihrem Besitz befand, stammte etwa aus dem Jahre 1937, also aus jener Zeit, als Emmerich Bartzer an der Vertonung gearbeitet hat. Sie wollte, dass man dieses Lied auch im fernen Deutschland singen kann. Und dieser Text lautet so:

Wie schön wars doch einst im Banat, 
nun ist´s mir fern, es winkt recht stad.
Doch denken werd ich ewig sein
Und meine Sehnsucht kehret heim.
In jedem Laut, in jedem Lied,
Das Heimweh krank gen Osten zieht.
Grüßt mein Banat viel tausendmal!
Grüßet die Dörfer und Auen!
Die weiten Fluren ohne Zahl,
Die bis zum Himmelsstrand schauen.
Grüßt mein Banat, das Land,
Das Gott so reichlich segnete mit gütger Hand.
Grüßt alle Leut´, die ich dort liebgewann.
Grüßt jedes Gässchen und Fleckchen,
Grüßet die Giebel vor dem Tor,
Grüßet das traute, liebe Plätzchen,
Wo ich mein Herze verlor.
Grüßt mein Banat, das schöne Land,
Grüßt alle Leut´, die ich dort gekannt!


Wiederbelebung eines kulturellen Schatzes

Ohne die Wiederentdeckung und Wiederaufführung vergessener Musikwerke der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, bleiben all diese Opuse höchstens (wenn überhaupt…) als Forschungsobjekt für die Musikwissenschaft erhalten. Die vollen Säle sowohl bei der Operette „Mädel aus dem Kokeltal“ in Heilbronn 2014 wie auch bei „Grüßt mein Banat“ in Temeswar 2023 haben bewiesen, dass ein Interesse für diese Musikgattung vorhanden ist. Man müsste nur noch geeignete Musikinstitutionen dafür gewinnen (Opern, Philharmonien) sich ebenfalls dafür einsetzen, bevor das musikalische Erbe der Deutschen aus und in Rumänien ganz in Vergessenheit gerät. Auch dies gehört zur Aufgabe von staatlich subventionierten Musikinstitutionen Rumäniens und Deutschlands. Bisher kann aber davon nicht viel die Rede sein. Die Musikwerke Richard Oschanitzkys und Emmerich Bartzers würden es allerdings verdienen, wieder aufgeführt zu werden. 

Sursa: https://adz.ro/artikel/aktuell/artikel/zwei-schwestern

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